«Als Drehbuchautorin musst du zaubern können»
Simone Schmid hat für das Schweizer Fernsehen eine neue Krimiserie entwickelt. Den Handlungsbogen und die diversen Erzählstränge zu koordinieren, gleiche dem Zusammensetzen eines riesigen Puzzles, sagt die Drehbuchautorin.
Das Wichtigste in Kürze
- Wenn am Ende einer Krimiserie ein Fall gelöst wird, gehen diesem Ereignis nicht nur Ermittlung, Fahndung und Spurensicherung voraus, sondern vor allem auch Monate des Schreibens, des Hin- und Herschiebens von Plotwendungen und Erzählsträngen, hitzige Diskussionen über Dialoge und Figurenentwicklung.
Die Drehbuchautorin Simone Schmid hat die neue, noch namenlose SRF-Krimiserie aus Basel geschrieben, die im Herbst im Schweizer Fernsehen ausgestrahlt wird. Wobei sie im Gespräch mit Keystone-SDA grossen Wert darauf legt, dass die Bücher in Teamarbeit entstanden sind.
Geboren wurde die Idee des Ex-Kommissars Leo Brand, der aus Geldnot eine Detektivschule gründet und seinen Schülerinnen und Schülern echte Fälle zum Lösen gibt, in den Köpfen von Schmid und ihrem Ehe- und Arbeitspartner Francesco Rizzi («Cronofobia»). Im Writer’s Room erhielten die beiden Head writer Unterstützung von André Küttel und Christine Brand.
Es war die erste gemeinsame Arbeit des Paares. «Wir ergänzen uns ideal: Francesco geht gerne in die Tiefe der Figuren, schreibt atmosphärisch, ich erzähle eher schnell und plotgetrieben», sagt Schmid. Eine Trennung von Arbeit und Privatleben gibt es kaum: Die Figuren sitzen mit ihnen am Küchentisch und ihr kleiner Sohn beschwert sich manchmal, dass sich die Gespräche so oft um Leo Brand und seine Zöglinge drehen.
Den Handlungsbogen, auch Arc genannt, über sechs Folgen à je 60 Minuten aufrechterhalten und den Faden nicht verlieren, auch, wenn vier Köpfe am Schreiben involviert sind: Wie ist das machbar? «Ganz profan: Mit Excel-Listen», sagt Simone Schmid, die zwischen Zürich und dem Tessin pendelt. Herausfordernd sei vor allem gewesen, dass die Geschichte nicht nur vertikal, sondern auch horizontal erzählt werde: Es gibt in der Serie nicht nur einen Kriminalfall pro Folge, sondern auch einen länger angelegten Fall, der sich durch die ganze Serie zieht und erst am Ende aufgelöst wird.
«Mit dem Streaming-Boom hat sich die horizontale Erzählweise etabliert, während im traditionellen Fernsehen noch immer das vertikale Geschichtenerzähler sehr gut funktioniert, mit dem befriedigenden Gefühl eines Abschlusses in jeder Folge», sagt Schmid. Wobei es immer öfters auch Ausnahmen gibt, wie beispielsweise die Serie «Wilder», die horizontal erzählt wurde. «Der Druck, die Zuschauerinnen und Zuschauer zur Primetime im Fernsehen bei der Stange zu halten, ist immens», so die Autorin, die auch das Drehbuch zum Kinospielfilm «Zwingli» verfasst hat.
Die Pilotfolge haben Schmid und Rizzi zusammen geschrieben. «Darin wurde die Tonalität vorgegeben, das Figurenkabinett und das Universum, in dem die Serie spielt, etabliert». Die restlichen fünf Folgen hat das Autorenteam, die sogenannten Head und Staff writer, unter sich aufgeteilt. In besagter Excel-Liste wurden aber nicht nur die horizontalen und vertikalen Erzählstränge für jede Folge aufgelistet, sondern auch die «private lines» der einzelnen Figuren. «Das sind die privaten, emotionalen Verästelungen der Figuren, die manchmal auch mit den zu lösenden Fällen verknüpft sind.» Eine wichtige Komponente: «Wir schauen doch eine Serie vor allem weiter, weil wir die Figuren mögen, oder sie zumindest faszinierend finden.»
Im Writer’s Room von SRF, eine aus den USA importierten Arbeitsweise, die mittlerweile bei Serienproduktionen zum guten Ton gehört, steht an erster Stelle das Brainstorming, sagt Schmid, die selbst als Staff writer für «Der Bestatter» gearbeitet hat. Nach dem groben Layout geht es ans Analytische: ans Aufteilen in kleine Plots, ans Kreieren der Turning Points, das Definieren der Auflösung. «Wir mussten einen doppelten Spannungsbogen aufrecht erhalten und dabei die Subplots nicht vergessen. Es ist wie ein riesiges Puzzle, bei dem kein Teilchen vergessen gehen darf. Als Drehbuchautorin musst du zaubern können.»
Als Head writer war Simone Schmid für den horizontalen Strang verantwortlich und die Staff writer für den vertikalen Fall, der ihr zugeteilten Folge. Schmid hat am Ende den Feinschliff gemacht und immer wieder kontrolliert, ob die Figuren immer gleich sprechen und ticken, ob der trockene «Deadpan»-Humor durchsickert und das Ganze möglichst organisch und homogen wirkt.
Nach acht Drehbuchfassungen stand die erste Staffel, die soeben von Michael Steiner verfilmt wurde. Bei der Leseprobe mit den Schauspielerinnen und Schauspielern war Schmid noch dabei, dann heisst es abgeben an die Regie. Doch sie ist mittlerweile geübt darin, gehört sie doch in der Schweiz zu den gefragtesten Drehbuchautorinnen.
Zurzeit schreibt sie an der zweiten Staffel der Basler Krimiserie – noch vor der Ausstrahlung der ersten. Eine normale Vorgehensweise beim Fernsehen. «Es wird sofort weiterentwickelt, um keine Zeit zu verlieren.» Simone Schmids Sohn wird sich also noch etwas länger den Küchentisch mit den angehenden Detektivinnen und Detektiven teilen müssen.