Ausländerbehörde kann nicht nur wegen Straftat Person ausweisen
Bundesgerichtsentscheid: Eine Ausländerbehörde darf nicht nur wegen einer Straftat jemanden ausweisen, wenn der Strafrichter keinen Landesverweis erteilte.
Das Wichtigste in Kürze
- Wenn der Strafrichter keinen Landesverweisung ausspricht, darf nicht ausgewiesen werden.
- Das hat das Bundesgericht Lausanne entschieden.
- Die Ausländerbehörde muss den Entzug einer Niederlassungsbewilligung anders begründen.
Eine Ausländerbehörde kann eine Niederlassungsbewilligung nicht allein wegen einer strafrechtlichen Verurteilung entziehen, für die der Strafrichter keine Landesverweisung ausgesprochen hat. Dies hat das Bundesgericht entschieden und Kompetenzen von Verwaltungs- und Strafbehörden abgegrenzt.
Im konkreten Fall wurde ein kroatischer Staatsbürger 2017 wegen verschiedener Delikte zu einer Freiheitsstrafe von 42 Monaten verurteilt. Die beurteilten Taten beging er in der Zeit zwischen Januar 2011 und Ende 2016.
Landesverweis wurde vergessen
Das urteilende Waadtländer Kreisgericht sprach keinen Landesverweis aus. Und dies, obwohl gewisse Delikte unter den Katalogstraftatbeständen aufgeführt sind, für welche ein obligatorischer Landesverweis vorgesehen ist.
Wie aus dem am Mittwoch veröffentlichten Urteil des Bundesgerichts hervorgeht, wurde der Landesverweis offensichtlich vergessen. Auch die Staatsanwaltschaft hatte ihn nicht beantragt.
Dennoch war der Entzug der Niederlassungsbewilligung durch das zuständige kantonale Departement im Jahr 2019 nicht zulässig, wie das Bundesgericht festhält. Das Ausländer- und Integrationsgesetz schliesst den Entzug einer Niederlassungsbewilligung explizit aus, wenn der Strafrichter auf einen Landesverweis verzichtet hat.
Laut Bundesgericht ist es auch nicht die Aufgabe einer Verwaltungsbehörde, Fehler eines Strafgerichts zu korrigieren, wenn der Landesverweis vergessen ging. Damit würde wieder der Dualismus eingeführt, wie er vor der Einführung der obligatorischen Landesverweisung am 1. Oktober 2016 herrschte.
Keine Rolle spielt, dass der Verurteilte einen Teil der Delikte vor dem 1. Oktober 2016 beging, da sich das Urteil des Strafgerichts auf alle Taten bezog.
Will die Ausländerbehörde die Niederlassungsbewilligung des Betroffenen widerrufen, muss sie ihre Verfügung anders begründen. Ausserdem darf sie sich nicht allein auf die Verurteilung stützen.
Entgegen eigener Richtlinien
Im vorliegenden Fall hatte das Staatssekretariat für Migration (SEM) Beschwerde geführt. Dies, weil das Waadtländer Kantonsgericht den Entzug der Niederlassungsbewilligung aufgehoben hatte.
Das SEM argumentierte, dass der Strafrichter nicht «explizit» auf die Landesverweisung verzichtet habe. Dieser Entscheid müsse immer klar aus dem Strafurteil hervorgehen.
Damit ist das SEM seinen eigenen, im November 2019 aktualisierten Richtlinien nicht gefolgt, wie das Bundesgericht schreibt. Darin heisst es: Bei fehlenden Ausführungen zu einer Landesverweisung in einem Strafurteil, könne die Ausländerbehörde nicht allein wegen einer Verurteilung eine Niederlassungsbewilligung verbieten.