Kantone mit Vorgehen des Bundesrats unzufrieden
Aus allen Himmelsrichtungen hagelt Kritik auf den Bundesrat nach der Ankündigung, schweizweit strengere Corona-Massnahmen einzuführen.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Baselbieter Regierung kritisiert die Regierung das Vorgehen des Bundesrates.
- Die Romandie sieht ihre bisherigen Bemühungen wenig gewürdigt.
- St. Gallen fordert die Rückkehr zur «Ausserordentlichen Lage».
Der Bundesrat will im Corona-Kampf wieder den Ton angeben. Gestern Dienstag verkündeten Alain Berset und Simonetta Sommaruga schärfere Massnahmen für die ganze Schweiz.
Neu soll die schweizweite Sperrstunde um 19 Uhr beginnen – an Sonntagen soll alles geschlossen bleiben. Ausserdem soll eine Fünf-Personen-Regel für private Treffen gelten.
Der Bundesrat schickte das Paket den Kantonen zur Vernehmlassung. Die angekündigten Massnahmen vom Bundesrat kamen nicht in allen Kantonen gleich gut an.
Thurgau: «Bundesrat auf einem von Angst getriebenen Blindflug»
Heftige Reaktionen kommen etwa aus dem Kanton Thurgau. Der Regierungsrat schreibt, die knappe Frist von sieben Stunden zur Vernehmlassung zum Massnahmenpaket «erweckt den Anschein, der Bundesrat interessiere sich nicht für die Haltung der Kantone.»
Der Kanton zeigt sich irritiert und enttäuscht ob der Vorgehensweise des Bundesrats. Die Kantone seien letzten Freitag aufgefordert worden, Massnahmen zu ergreifen – was nun in vielen Kantonen geschehen sei.
Nun presche der Bundesrat vor, obwohl weder alle Massnahmen geschweige denn ihrer Wirkung bereits beurteilt werden könnten. «Das ganze Vorgehen ist nicht logisch und basiert auf einem von Angst getriebenen Blindflug.»
Wenn die Situation wirklich derart dramatisch ist, wie vom Bundesrat dargestellt, müsste der Bundesrat umgehend die ausserordentliche Lage ausrufen und selbst handeln, statt die Kantone zu beüben. Wenn dem nicht so ist, müsste zunächst die Wirkung der kantonalen Massnahmen abgewartet werden. Der Kanton Thurgau lehnt das Verschärfungspaket ab.
Baselbieter Regierung sieht föderalistische Zusammenarbeit gefährdet
Die Baselbieter Regierung sistiert die am Dienstag verkündeten Verschärfungen der kantonalen Covid-19-Schutzmassnahmen. Als Grund gibt sie die vom Bundesrat am selben Tag in Aussicht gestellten neuen Einschränkungen auf Bundesebene an.
Damit wolle der Regierungsrat verhindern, dass widersprüchliche Entscheidungen von Bund und Kantonen die Bevölkerung verunsicherten, heisst es in einer Regierungsmitteilung vom Mittwoch.
In einem Schreiben kritisiert die Baselbieter Regierung, dass dieses Vorgehen des Bundesrats die föderalistische Zusammenarbeit «in höchstem Masse» gefährde.
Die Regierung werde am nächsten Dienstag über allfällige zusätzliche kantonale Massnahmen entscheiden.
Protest aus der Westschweiz
Der heftigste Protest kommt aus der Romandie. Die Westschweizer Kantone ergriffen bereits vor Wochen strenge Massnahmen, als die Zahlen aus dem Ruder liefen. Seit letzter Woche sanken die Infektionen unter dem Niveau der Deutschschweiz. Nach fünf Wochen Schliessung sollten nun am morgigen Donnerstag die ersten Lockerungen erfolgen.
«Die Westschweizer Kantone können die Eile, mit welcher der Bundesrat die undifferenzierten Massnahmen in die Vernehmlassung geschickt habe, nicht akzeptieren. Die bereits unternommenen Anstrengungen gegen die Ausbreitung des Coronavirus wurden nicht berücksichtigt», geht aus einem Positionspapier hervor.
Die sechs Westschweizer Kantone Freiburg, Waadt, Neuenburg, Wallis, Jura und Bern fordern in der gemeinsamen Erklärung ab Januar die Einrichtung eines eidgenössischen Dialogs, damit die Standpunkte der Kantone im Vorfeld stärker berücksichtigt würden und die geplanten Massnahmen vorhersehbarer seien
Diese Kantone fordern ausserdem substanzielle Finanzhilfen des Bundes an die von den zusätzlichen Massnahmen betroffenen Sektoren. Darüber hinaus müsse denjenigen Kantonen, die in den letzten sechs Wochen einschneidende Massnahmen getroffen und verantwortet hätten, zusätzliche Hilfe gewährt werden.
Bern begrüsst einheitliche Massnahmen
Die Berner Regierung begrüsst, dass der Bundesrat bei den Massnahmen gegen die Ausweitung der Corona-Pandemie eine landesweit einheitliche Regelung anstrebt. Sie hält aber einzelne Massnahmen für zu scharf.
Eine Schliessung der Gaststätten schon um 19 Uhr würde den wirtschaftlichen Betrieb der Restaurants zusätzlich erschweren. Ausserdem sollen Gastronomiebetriebe mit Blick auf den Aufenthalts- und Ausflugstourismus am Sonntag öffnen dürfen.
Die Fünf-Personen-Regel sei ausserdem zu strikt und soll auf zehn Personen angehoben werden. Die Behörden sollten über die Festtage nicht zu weit gehende Einschränkungen verfügen, sondern an die Eigenverantwortung der Leute appellieren.
Auch ein pauschales Verbot jeglicher Aktivitäten im Kulturbereich lehnt der Kanton Bern ab.
St. Gallen fordert Ausruf der «Ausserordentliche Lage»
Keine 24 Stunden nach dem abendlichen Bundesrats-Hammer tritt die St.Galler Regierung heute vor die Medien. Regierungspräsident Bruno Damann stellt aber klar: «Der Bundesrat müsste die ausserordentliche Lage ausrufen.»
Die Regierung habe bereits vor der Ankündigung des Bundesrates strengere Massnahmen als bisher geltend beschlossen. Nichtsdestotrotz will die Regierung bis Freitag abwarten, um die Massnahmen mit den definitiven Beschlüssen des Bundesrats abzustimmen.
Diese Forderung unterstützt auch der Kanton Thurgau. «Wenn die Situation wirklich derart dramatisch ist, wie vom Bundesrat dargestellt, müsste der Bundesrat umgehend die ausserordentliche Lage ausrufen.»
Kanton Aargau begrüsst Verschärfungen des Bundesrates
Der Kanton Aargau unterstützt die Vorschläge des Bundesrates zur Verschärfung der Corona-Massnahmen. Der Aargauer Regierungsrat begrüsst es insbesondere, dass diese einheitlich für das ganze Land gelten sollen. Die Vorschläge des Bundesrates entsprächen der Stossrichtung, die der Kanton für die nächsten Wochen vorgesehen habe.
Der Kanton teile die Einschätzung des Bundesrates, dass die Entwicklungen der letzten Tage eine Verschärfung der Massnahmen nötig machen würden.