Berggebiete fordern Revision der Zweitwohnungsgesetzgebung
Das Wichtigste in Kürze
- Nicht mehr als 20 Prozent der Wohnungen einer Gemeinde dürfen Zweitwohnungen sein.
- Ein entsprechendes Gesetz wurde vor 10 Jahren ins Leben gerufen.
- Nun fordern Bergregionen eine Revision.
Nach dem knappen Volks-Ja zur Zweitwohnungsinitiative hat die Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) eine Revision des Gesetzes gefordert. Es führe zu einer systematischen Benachteiligung zahlreicher Berggemeinden. Auch im Parlament ertönt der Ruf nach mehr Flexibilität.
Am 11. März 2012 hatten lediglich gut 28'000 Stimmen den Unterschied zugunsten der Zweitwohnungsinitiative ausgemacht. Seither darf der Anteil an Zweitwohnungen pro Gemeinde nicht über 20 Prozent liegen. Der Graben zwischen den Mittellandkantonen und jenen des Alpenbogens war offensichtlich.
Und daran hat sich laut SAB nichts geändert, im Gegenteil: «Die Zweitwohnungsinitiative hat zu einer eigentlichen Zweiteilung der Schweiz geführt. Das ist staatspolitisch bedenklich und hat das Verhältnis zwischen Stadt und Land in den vergangenen Jahren stark belastet.» Das schreibt sie in ihrer Bilanzmitteilung vom Freitag.
Starker Eingriff in die Eigentumsrechte
Die Initiative habe sehr handfeste Konsequenzen für die betroffenen 342 Gemeinden und ihre Einwohner. Sie sei ein starker Eingriff in die Eigentumsrechte, die Eigentümer eines Gebäudes könnten nicht mehr frei über dessen Verwendung befinden.
Die Erneuerung des Altwohnungsbestandes und dessen Anpassung an moderne Wohnbedürfnisse werde erschwert. Die Zweitwohnungsinitiative habe nicht nur Auswirkungen auf den eigentlich anvisierten Zweitwohnungsmarkt. Sondern auch auf den Markt mit Erstwohnungen und treffe damit die vor Ort ansässige Bevölkerung. Der Markt sei mehr oder weniger leer gekauft, die Preise stiegen.
Das bringe viele Einheimische in die Klemme, kritisiert die SAB. Wenn die Jungen keine erschwinglichen und attraktiven Mietwohnungen mehr fänden, verliessen sie das Dorf. Danach kehrten sie mit grosser Wahrscheinlichkeit nie mehr zurück.
Das revidierte Raumplanungsgesetz sei auch keine Hilfe, weil es den Neubau von Erstwohnungen stark einschränke. «Die Einheimischen sind so quasi gefangen zwischen Zweitwohnungs- und Raumplanungsgesetz», so das Fazit der SAB. Das Raumplanungsgesetz dürfe deshalb nicht noch weiter verschärft werden und müsse den unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten Rechnung tragen.
Erweiterungsmöglichkeiten für altrechtliche Erstwohnungen
Auch im Eidgenössischen Parlament mehren sich die Stimmen für eine Aufweichung der entsprechenden Gesetzgebung. So hat es eine parlamentarische Initiative von Nationalrat Martin Candinas (Mitte/GR) überwiesen, die Erweiterungsmöglichkeiten für altrechtliche Erstwohnungen verlangt.
Die vorberatenden Kommissionen von National- und Ständerat unterstützen die Forderung und verlangen mehr Flexibilität. Einige Häuser sollen in Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von über zwanzig Prozent flexibler modernisiert werden. Darunter sind Wohnhäuser, die bei der Abstimmung bestanden oder bewilligt waren.
Die vorgesehenen Erleichterungen seien mit dem Anliegen der Zweitwohnungsinitiative kompatibel, halten die Befürworter einer Lockerung fest. Es entstünden dadurch keine neuen Zweitwohnungen auf der grünen Wiese.
Gesetzgebung bremste Wohnungsbau
Zu einem völlig anderen Schluss kommt die Stiftung Helvetia Nostra. Sie betont, die neue Gesetzgebung habe den Zweitwohnungsbau im Kanton Wallis gebremst. Laut eigenen Angaben hat sich die Stiftung seit 2012 gegen mehr als 3200 Bauprojekte gewehrt, die meisten davon im Wallis. In 64 Prozent der Fälle habe sie Recht bekommen.
Das Wallis «bleibt ein schlechter Schüler» und einige Bauherren wetteifern immer noch mit Tricks, um das Gesetz zu umgehen. So die Direktorin der Stiftung Helvetia Nostra, Vera Weber. Diese Situation habe sich durch die Pandemie noch verschärft. Diese habe die Suche nach Häusern in den Alpen angekurbelt, so Weber gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Die Zahl der typischen Immobilien wie Raccards, alte Holzspeicher, die in Zweitwohnungen umgewandelt werden, steigt, laut Weber ebenfalls. Dies sei eine neue Möglichkeit, die 20 Prozent-Regel zu umgehen. Auch wenn die Option gesetzlich erlaubt sei, so führe sie zu Missbrauch, so die Direktorin der Stiftung Helvetia Nostra.
Der Bundesrat wiederum beurteilte das Zweitwohnungsgesetz im Mai 2021 gestützt auf eine Analyse als «wirksam und zeitgemäss». Der Flächenverbrauch von Zweitwohnungen sei in betroffenen Gemeinden von 2013 bis 2018 gegenüber 2007 bis 2012 um einen Drittel zurückgegangen.
Segmentierung des Wohnimmobilienmarktes
In der Praxis habe sich bisher nicht bestätigen lassen, dass das Zweitwohnungsgesetz zu substanziellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten geführt hat.
In zahlreichen Gemeinden des Alpenraums sei es aber zu einer deutlichen Segmentierung des Wohnimmobilienmarktes gekommen, räumte die Landesregierung ein. Während Erstwohnungspreise gesunken seien, seien Zweitwohnungspreise leicht angestiegen.
Eine neue Untersuchung des Immobilienportals Homegate zum Jahr 2021 ergab dagegen im Zweitwohnungsmarkt «massive Preisaufschläge». Aufgrund der Angebotsbeschränkungen durch die Zweitwohnungsinitiative sei hier ein Markt geschaffen worden, der sich «hervorragend für Immobilienspekulationen eignet».
Gemäss Winter-Update 2022 des Beratungsunternehmens Wüest Partner sind Mietwohnungen in Tourismusregionen mittlerweile ähnlich knapp wie in Zürich oder Genf. Die Gründe für diese Entwicklung seien Spätfolgen der Zweitwohnungsinitiative als auch eine gestiegene Nachfrage von «Unterländern».