Boomer setzen sich in Beiz an besetzten Tisch – Junge irritiert
Ein junges Paar will an einem sonnigen Samstagnachmittag ein romantisches Date in einer Gartenbeiz verbringen. Privatsphäre bleibt den beiden aber verwehrt.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Babyboomer-Paar setzt sich an einen besetzten Tisch in einer Beiz bei Bern.
- Das junge Paar, das schon dort isst, ist irritiert und findet das aufdringlich.
- Offenbar ein Generationenkonflikt: Die Gen Z findet solche Interaktionen unangenehmer.
Ein junges Stadtberner Paar plant ein romantisches Date – ein kleiner Spaziergang, dann ein Zvieri in der hübschen Gartenbeiz Zehendermätteli. Doch Privatsphäre bekommen die beiden nicht.
Denn: Sie sitzen zu zweit an einem Vierertisch. Kaum haben sie im Restaurant bestellt, fragt ein älteres Paar, ob es sich dazusetzen darf.
Fiona Keller* (25) ist irritiert. «Mir ist das noch nie passiert und ich würde das auch nie selbst tun», erzählt sie bei Nau.ch. Sie zögert eine Sekunde, dann sagt sie aus Höflichkeit Ja.
«Ich weiss, dass die Absicht keine schlechte war. An allen Tischen sassen Leute, darum gingen wir überhaupt erst an den Vierertisch. Aber trotzdem finde ich das aufdringlich!»
Boomer verstehen älteres Paar, Gen Z findets komisch
Sie vermutet einen Generationenunterschied. Denn als sie ihren Boomer- beziehungsweise Gen-X-Eltern davon erzählt, stellen sie sich auf die Seite des Seniorenpaars. «Gleichaltrige aus meinem Umfeld dagegen fanden es komisch.»
Tatsächlich – Generationenforscher Rüdiger Maas erklärt gegenüber Nau.ch: «Die Babyboomer sind analog aufgewachsen und mussten im Alltag ständig mit anderen kommunizieren. Im Gegensatz dazu fehlt es der Generation Z gewissermassen an Training.»
Die Jungen erlebten von Geburt an viel digitale Kommunikation, sagt er. «Dadurch entstehen in der analogen Interaktion oft unangenehme Gefühle der Unsicherheit und des Unbehagens.» Und solche Situationen wolle der Mensch eher vermeiden. Eine Tendenz, die laut Maas durch die Corona-Kontaktbeschränkungen noch verstärkt wurde.
Zusammengefasst: «Die Frage, ob die Generation Z Fremde mehr scheut als Babyboomer, lässt sich eher bejahen.» Trotzdem sei es auch individuell, ob das Tisch-Teilen jemanden stört – und komme auf die Situation an.
Städter starren an die Decke, damit sie kein Gespräch starten müssen
Simona Tarnutzer (31) vom Berghaus Sulzfluh in St. Antönien GR vermutet nicht Generationen- sondern Lifestyle-Unterschiede. Für sie sei es ganz normal, sich zu Fremden an einen Tisch zu setzen.
«Wer in städtischen Regionen oder in noblere Restaurants geht, erwartet einen eigenen Tisch. Wer mehr in einfacheren Restaurants oder höheren Lagen unterwegs ist, kennt das andere.»
In den Bergen sei das Tisch-Teilen gang und gäbe – unter anderem aus organisatorischen Gründen. «Es hat nicht so viel Personal, da ist es nicht möglich, für jeden Gast einen Teller anzurichten. So kann man eine grosse Schüssel auf den Tisch stellen und die Gäste schöpfen sich selber.»
Viele würden sich über Geselligkeit freuen oder sähen es neutral. «Ganz wenige sind nicht glücklich damit.» Tarnutzer erinnert sich an nur drei Beispiele: eine Engländerin, die ein Hotel statt ein Berghaus erwartete, und ein Paar, das sich ein Candle-Light-Dinner vorgestellt hatte.
Oder drei Paare aus der Stadt: «Sie starrten an die Decke, damit sie sich nicht anschauen und ein Gespräch starten mussten.»
Knigge-Expertin würde selbst nicht fragen
Und was sagt der Knigge? Expertin Susanne Abplanalp erklärt: «Möchte ich mich einfach ernähren und das Restaurant ist überfüllt, dann darf ich fragen.» Vor allem über Mittag oder in einfachen Beizen.
Sie selbst würde aber auch eher nicht fragen, «weil es für die Personen unangenehm sein könnte, den Wunsch abzulehnen». Eleganter sei es, den Service zu fragen, ob er das für einen abklären könne.
Für sie ist aber auch klar, dass man höflich Nein sagen darf.
* Name von der Redaktion geändert.