Coronavirus: Die Öffnungs-Euphorie kommt zu früh
Immer mehr Länder drücken bei den Lockerungen aufs Gas, die Massnahmen gegen das Coronavirus werden aufgehoben. Zu früh, finden Experten.

Das Wichtigste in Kürze
- Erste US-Bundesstaaten haben fast alle Corona-Massnahmen aufgehoben.
- Auch der britische Premierminister Johnson drückt bei den Lockerungen aufs Gaspedal.
- Für Experten ist das jetzt sogar kontraproduktiv.
Israel gibt bei den Impfungen Vollgas. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat bereits eine erste Dosis gegen das Coronavirus erhalten. Die Impf-Euphorie führt in Israel zu starken Lockerungen der Massnahmen. Wer den grünen Pass besitzt, kann bereits wieder reisen und Sport machen.
Und auch anderswo herrscht Lockerungsfieber. Der britische Premierminister Boris Johnson verkündete, am 21. Juni sei alles wieder normal.

Grossbritannien mache bei den Impfungen sehr grosse Fortschritte, so Johnson. Und er bot der Uefa auch an, sämtliche 51 EM-Spiele in diesem Sommer in Grossbritannien auszutragen.
Fauci: Lockerungen sind «unerklärlich»
Nun ziehen auch erste US-Bundesstaaten mit. Mississippi und Texas haben die Massnahmen im Kampf gegen das Coronavirus praktisch vollständig aufgehoben. Sogar auf eine Maskenpflicht wird verzichtet. Und andere Bundesstaaten wollen folgen.
Ist die Coronakrise also vorbei? Experten warnen, dies so zu sehen. Und die starken Lockerungsschritte könnten ihrer Ansicht nach sogar kontraproduktiv sein. Dieser Meinung ist etwa Anthony Fauci, Chef-Gesundheitsberater der USA.

«Aus gesundheitlicher Sicht ist das eine schlechte Anweisung», so Fauci. Die Fallzahlen in den USA stagnieren, jetzt so stark zu öffnen sei unerklärlich. Fauci erinnerte auch daran, dass sich die USA bereits vor einigen Monaten in der gleichen Lage befunden hätten. «Was wir jetzt nicht brauchen, ist ein neuer Anstieg.»
Auch US-Präsident Joe Biden hielt sich nicht mit Kritik zurück. «Das Letzte, was wir brauchen, ist ein Neandertaler-Denken, dass in der Zwischenzeit alles in Ordnung ist.» Erst im Mai werde die USA genügend Impfstoff haben, so der Demokrat.
Coronavirus bei den Briten am 21. Juni vorbei
Und auch Boris Johnson gerät mit seiner Öffnungs-Euphorie stark unter Beschuss. Zwar jubeln die Briten über die Nachricht. Binnen weniger Tage waren etwa Englands Sommer-Festivals ausverkauft. Der 21. Juni ist bei den Briten dick im Kalender angestrichen.

Und genau das sei das Problem, finden Experten. Mit der Nennung von Kalenderdaten schaffe man Erwartungen, «an denen sich nur sehr schwer wieder etwas ändern lässt». Das sagt der bekannte britische Verhaltensforscher Stephen Reicher.
Noch immer fehle es an einer langfristigen Strategie im Kampf gegen das Coronavirus, so der Forscher. Und bereits würden die Infektionszahlen in jedem fünften Bezirk wieder steigen. Und Jonathan Van-Tam, ärztlicher Topberater der Regierung warnte: «Diese Schlacht ist noch nicht gewonnen.»
Mit den jetzt geschürten Erwartungen ist es aber schwierig, der Bevölkerung zu erklären, man müsse die Massnahmen jetzt wieder verschärfen. Denn das Ende einer Pandemie lässt sich nicht einfach festlegen. Und wer will nach so langer Zeit der Einschränkung, die wiedergewonnen Freiheiten gleich wieder abgeben müssen?