Biden kritisiert Lockerungen als «Neandertaler-Denken»
In den USA stecken sich weiterhin Zehntausende Menschen am Tag mit dem Coronavirus an. Mehrere Bundesstaaten lockern die Massnahmen nun trotzdem - gegen den ausdrücklichen Appell des US-Präsidenten.
Das Wichtigste in Kürze
- US-Präsident Joe Biden hat die Lockerung von coronabedingten Beschränkungen in mehreren US-Bundesstaaten kritisiert und den zuständigen Gouverneuren «Neandertaler-Denken» vorgeworfen.
«Ich glaube, dass es ein grosser Fehler ist», sagte der Demokrat im Weissen Haus zur Aufhebung von Restriktionen in Texas und Mississippi. Erst Ende Mai werde es genug Impfstoff geben, um alle erwachsenen Amerikaner impfen zu können. «Das letzte, was wir brauchen, ist ein Neandertaler-Denken, dass in der Zwischenzeit alles in Ordnung ist.» Es sei «entscheidend», die von der Wissenschaft empfohlenen Schutzmassnahmen zu befolgen.
Der republikanische Gouverneur von Texas, Greg Abbott, hatte am Dienstag angekündigt, die Maskenpflicht und alle Kapazitätsgrenzen für Restaurants und andere Betriebe in seinem Bundesstaat aufzuheben. Auch der republikanische Gouverneur von Mississippi, Tate Reeves, hatte erklärt, alle Anordnungen zum Tragen von Masken und Kapazitätsgrenzen für Restaurants und Firmen würden beendet. Weitere Bundesstaaten, darunter Ohio und Michigan, kündigten zumindest Lockerungen ihrer Corona-Auflagen an.
Abbott und Reeves wehrten sich auf Twitter gegen Kritik. «Wir sind in der Lage, Covid einzudämmen und Texas sicher zu 100 Prozent zu öffnen», schrieb Abbott. Reeves kritisierte, Biden habe es als «Neandertaler-Denken» bezeichnet, den Menschen in Mississipi die Entscheidung zu überlassen, wie sie sich schützten. Diese Menschen bräuchten keine «Betreuer», schrieb der Gouverneur. «Ich denke, wir sollten den Amerikanern vertrauen und sie nicht beleidigen.»
Der Top-Immunologe und Biden-Berater Anthony Fauci nannte die Rücknahme der Schutzmassnahmen «unerklärlich» und «unüberlegt». Fauci sagte dem Sender CNN, bereits vor Monaten hätten die USA erlebt, wie die Fallzahlen wieder bedenklich zugenommen hätten, nachdem manche Bundesstaaten die Richtlinien der Experten nicht befolgt hätten. Die täglichen Fallzahlen in den USA seien zwar auf 55.000 bis 70.000 zurückgegangen, lägen damit aber immer noch hoch - und der Rückgang sei inzwischen gebremst.
Die Sprecherin des Weissen Hauses, Jen Psaki, übte Kritik an Politikern, die die Expertenratschläge seit Beginn der Corona-Krise nicht ernst genommen hätten. Die USA hätten seit einem Jahr mit der Pandemie zu tun, sagte Psaki. «Und das gesamte Land zahlt den Preis für politische Anführer, die die Wissenschaft mit Blick auf die Pandemie ignoriert haben.»
Psaki betonte, Bidens Appell an die Amerikaner, in seinen ersten 100 Tagen im Amt Masken zu tragen, basiere auf Experteneinschätzungen, die davon ausgingen, dass so 50.000 Menschenleben gerettet werden könnten. «Wir müssen wachsam bleiben.»
Die Chefin der US-Gesundheitsbehörde CDC, Rochelle Walensky, mahnte: «Jetzt ist nicht die Zeit, alle Auflagen zu lockern.» Sie appellierte an die Menschen, sich weiter an die Vorsichtsmassnahmen zur Eindämmung der Pandemie wie das Tragen von Masken zu halten, «unabhängig von der Entscheidung des Bundesstaates».
Bidens Amtsvorgänger Donald Trump hatte zu Beginn der Pandemie die von dem Virus ausgehende Gefahr geleugnet, sich später ohne wissenschaftliche Belege für bestimmte Medikamente als vermeintliche Wundermittel eingesetzt und bis zuletzt erkennen lassen, dass er das Tragen von Masken eher lästig fand. Biden hat den Kampf gegen die Pandemie zu einem seiner wichtigsten Ziele erklärt.
Seit Beginn der Pandemie sind in den USA fast 520.000 Menschen nach einer Infektion mit dem Coronavirus ums Leben gekommen, wie aus Statistiken der Johns-Hopkins-Universität hervorgeht. Mehr als 28,7 Millionen der rund 330 Millionen Amerikaner steckten sich mit dem Virus an. Die Infektionszahlen sind deutlich unterhalb von denen zu Jahresbeginn, lagen in den vergangenen Tagen aber weiterhin bei jeweils mehr als 50.000.