Schluss mit der Beamtenmentalität, fordert Epidemiologe Marcel Salathé. Die Entwicklung des Coronavirus gehe derzeit in die völlig falsche Richtung.
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Epidemiologe Marcel Salathe spricht während einer Medienkonferenz zum Coronavirus. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Epidemologe Marcel Salathé übt starke Kritik am Krisenmanagement des Bundes.
  • Die Sterblichkeit könne schon bald wieder steigen.
  • Salathé fordert schnelleres Contact Tracing und appelliert an die Kantone.
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«Man testet nur ein bisschen mehr und wir haben frappant höhere Zahlen.» Der Epidemiologe Marcel Salathé zeigt sich sichtlich beunruhigt. Die Schweiz kriege die hohe Fallzahl nicht in den Griff.

Mitschuld trage die Beamtenmentalität, nervt sich der ETH-Professor in einem Interview mit dem «Tagesanzeiger». Denn auch wenn sich derzeit überwiegend Junge mit dem Coronavirus infizieren, könne das Virus schnell auf die Alten überspringen.

Das hätten etwa Florida oder England gezeigt. «Dann ging es einen Monat, und die Sterblichkeit ging massiv hoch.»

Zwischen Test und Anruf des Contact-Tracers vergehe zu viel Zeit

Grundsätzlich setze die Schweiz zwar auf die richtigen Massnahmen: Contact Tracing und Testen. Also dass man genau diejenigen in Quarantäne setzt, die das Virus übertragen könnten. Eine «intelligente Alternative zum Lockdown», welcher eine kollektive Quarantäne darstelle.

«Wenn das sauber klappen würde, würde das reichen.» Doch das tue es nicht. «Wirksam heisst schnell. Stattdessen glaubt man noch immer, das Virus passe sich den Bürozeiten der Beamten an.»

Das sehe man nur schon bei den Fallzahlen des Coronavirus, bemängelt Salathé. Warum würden diese wohl immer am Wochenende purzeln und am Mittwoch wieder steigen?

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Eine Frau arbeitet als Contact-Tracerin gegen die Verbreitung des Coronavirus. - Keystone

Noch immer würden viele Personen zwei bis drei Tage auf das Testergebnis warten. «Und dann nochmals zwei drei Tage, bis der Contact-Tracer anruft. Dann ist es natürlich schon gelaufen mit den vielen Ansteckungen», warnt der Epidemiologe gegenüber der Zeitung.

Auf kantonaler Ebene müssen die Behörden schneller werden, fordert er. In den Kantonen «muss endlich einer auf den Tisch hauen und sagen: So geht es nicht mehr.» Die Frist zwischen Test und ersten Anruf des Contact-Tracers müsse kurz sein.

Coronavirus lege «Digitalisierungskrise» offen

Der viel geäusserte Vorwurf, kaum einer aktiviere die von Salathé mitentwickelte Covid-App, lässt er nicht gelten. «Wir sind viel besser als die Nachbarländer.» Die Schweiz verzeichne 25 Prozent Downloads, Deutschland hingegen 20 und Frankreich «traurige zwei Prozent».

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Eine Frau nutzt wegen des Coronavirus die SwissCovid Contact-Tracing-App auf ihrem Smartphone. (Archivbild) - Keystone

Den Epidemiologen stört vielmehr, dass Getestete lange keinen Code kriegen, um das App-System über die Infizierung zu informieren. Von einer Pflicht für Bar- oder Clubbesucher sieht Salathé trotzdem ab. Trotzdem solle die App im Nachtleben und in der Gastronomie gegen die Verbreitung des Coronavirus genutzt werden.

Richtig sauer wird der bekannte Epidemiologe jedoch bei der Frage nach der Daten-Handhabung des BAG. «Wir haben eine Digitalisierungskrise. Bei manchen essenziellen Prozessen ist der Staat digital nicht einmal in der Steinzeit.» Es müsse vorwärtsgemacht werden, «aber allzu optimistisch bin ich nicht».

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