Coronavirus: Jetzt wird die Schweiz zum Europa-Sonderfall
Der Bundesrat öffnet trotz steigender Neuinfektionen mit dem Coronavirus. Schaut man sich in den Nachbarländern um, stellt man fest: Wir stehen fast alleine da.
Das Wichtigste in Kürze
- Ab kommendem Montag sind die Restaurants-Aussenbereiche in der Schweiz wieder geöffnet.
- Der Bundesrat wagt weitreichende Lockerungen, trotz steigender Fallzahlen.
- Das stösst im Ausland auf Unmut – die Schweiz ist eine Insel im Lockdown-Pool.
Da staunen die Nachbarn nicht schlecht. Bundesrat Alain Berset verkündet am Mittwochnachmittag Lockerungsschritte, obwohl die Fallzahlen seit Wochen ansteigen.
Die hiesige Situation mit dem Coronavirus ist derjenigen in den Nachbarstaaten eigentlich ähnlich. Die Mutationen, besonders die britische, beschäftigen die Regierungen und treiben die Neuinfektionen in die Höhe. Nur der Umgang mit den neuerlichen Anstiegen könnte unterschiedlicher kaum sein.
Während der Bundesrat hierzulande von offenen Restaurant-Terrassen und Fitnessstudios spricht, diskutieren die deutschen Politiker über die Verschärfung des Infektionsgesetzes. Künftig sollen für Ortschaften, in denen die Sieben-Tage-Inzidenz die Marke von 100 überschreitet, einheitliche, strikte Massnahmen gelten.
Deutsche Medien überrascht
Zum Beispiel dürften die Angehörigen eines Haushalts unter den neuen Vorschriften nur noch eine weitere Person treffen. Darüber hinaus wird wohl eine Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr eingeführt. Die Mehrheit der Landeskreise liegt derzeit über diesem Wert.
Entsprechend überrascht reagieren die deutschen Medien auf den Entscheid des Bundesrats. «Schweiz lockert trotz steigender Zahlen», titelt etwa die deutsche «Tagesschau».
Auch der grenznahe «Südkurier» schreibt von einer Überraschung. «Denn vier der fünf Richtwerte, die für den Bundesrat als Voraussetzung für Öffnungen gelten, sind weit überschritten», heisst es.
Nicht nur in Deutschland denkt man derzeit an alles andere als Lockerungsschritte. Die französische Regierung verhängte vor zwei Wochen einen Lockdown für mindestens einen Monat.
Die Einwohnerinnen und Einwohner des Landes dürfen sich nur in einem Radius von zehn Kilometern im Umkreis des Wohnorts bewegen. Und auch hier gilt eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 19 und 6 Uhr.
«Eine Lockerung der Massnahmen, die vielen in Europa gegen den Strich geht», lautet die erste Zeile des «Le Parisien»-Artikels.
Ansteckungen mit dem Coronavirus sinken in Grossbritannien
Zu den verblüfften dürften auch die Regierungen von Italien und Österreich gehören. In beiden Staaten stiegen die Infektionszahlen mit dem Coronavirus im März an.
Die Geschäfte, Einkaufszentren, Kinos und Museen sind in unserem südlichen Nachbarland geschlossen. In einzelnen Regionen dürfen die Einwohnerinnen und Einwohner die Häuser gar nur aus einem triftigen Grund verlassen.
Noch im Februar versuchte Italien ebenfalls zu öffnen. Die Restaurants durften in «sichereren» Regionen tagsüber Gäste vor Ort bedienen. Das Coronavirus schlug aber in den darauffolgenden Wochen zurück – und die Regierung zog die Schraube ein weiteres Mal an.
Dass das Coronavirus noch lange nicht besiegt ist, macht sich auch im Osten Österreichs bemerkbar. Der Lockdown der Hauptstadt Wien wurde kürzlich um zwei weitere Wochen verlängert. Die Lage in den Spitälern sei kritisch, wurde der Schritt begründet. In den restlichen Bundesländern sind die Gastrobetriebe ebenfalls weiterhin geschlossen.
Ganz allein steht die Schweiz mit Öffnungsschritten allerdings nicht da. Grossbritannien nahm am Montag ebenfalls Lockerungen vor. Die Britinnen und Briten dürfen seither wieder ein Bier im Aussenbereich eines Pubs geniessen. Einziger Unterschied zur Schweiz: Im Vereinigten Königreich nehmen die Ansteckungen mit dem Coronavirus seit Wochen ab.