Coronavirus radikalisierte Mütter – aber Gefahr sind junge Männer

Das Coronavirus war insbesondere für Familien eine Belastung. Laut einer deutschen Doku sollen sich Mütter deshalb radikalisiert haben. Experten ordnen ein.

Coronavirus Mutter
Insbesondere Familien mit Kindern litten unter den Coronavirus. Mütter sollen sich in dieser Zeit radikalisiert haben. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Eine deutsche Expertin staunt über Mütter, die sich während Corona radikalisierten.
  • Denn: Frauen sind in der Regel demokratietreuer.
  • Ein Experte widerspricht: Gefährlich sind vor allem junge Männer.

Vor fünf Jahren stellte das Coronavirus die Welt auf den Kopf: Schulen und Beizen wurden geschlossen, das tägliche Leben beinahe eingestellt. Mit den Öffnungen kehrten die Maske und das Corona-Zertifikat ein.

Das hat Spuren hinterlassen – bis heute.

Aus den Kreisen der Massnahmen-Skeptiker entstanden zunehmend antidemokratische Bewegungen. Zu den Anhängerinnen gehören auch Mütter.

In Deutschland sorgt das nun für Aufsehen. Wirtschafts- und Sozialforscherin Bettina Kohlrausch erklärt in einer Doku des Bayrischen Rundfunks (BR): «Das Gefühl, vom Staat im Stich gelassen worden zu sein, war ein Nährboden für antidemokratische Angebote.»

Radikalisierte Mütter «bemerkenswert»

Dass ein Teil der Mütter dahingehend abgedriftet sind, findet Kohlrausch «bemerkenswert». Grund: «Weil Frauen in der Regel demokratietreuer sind und beispielsweise häufiger wählen gehen als andere Gruppen.»

Doch unter Massnahmen wie Lockdowns und Schulschliessungen litten insbesondere Familien mit Kindern.

Coronavirus
Wirtschafts- und Sozialforscherin Bettina Kohlrausch findet es «bemerkenswert», dass sich auch Mütter wegen des Coronavirus radikalisiert haben. - BR

Auch finanzielle Einbussen und Existenzängste waren die Folge – gerade bei Alleinerziehenden und Selbstständigen.

Kohlrausch erklärt: «Die Gesellschaft wird gespalten, weil der Staat gezeigt hat, was er kann, aber nicht für alle.»

Haben sich Mütter deshalb besonders häufig antidemokratisch radikalisiert? Und wie sieht es in der Schweiz aus?

Mütter in der Pandemie «im Stich gelassen»

«Mütter haben sich nicht überproportional radikalisiert», sagt Soziologe und Verschwörungstheorie-Experte Marko Kovic über die hiesige Lage gegenüber Nau.ch.

«Sie wurden in der Pandemie aber im Stich gelassen: Hilfskredite für Grossunternehmen waren sofort da. Aber viele Mütter, die vielleicht weniger oder gar nicht arbeiten konnten, mussten schauen, wie sie über die Runden kommen.»

Hast du dich während Corona von den Behörden im Stich gelassen gefühlt?

Die Forschungsergebnisse aus Deutschland decken sich laut Kovic teils mit denen aus der Schweiz: «Die Pandemie traf jene Menschen am härtesten, die schon vor der Pandemie am wenigsten Geld hatten. Mütter waren in dieser Hinsicht besonders betroffen.»

Zusammengefasst: Mütter hatten zwar stark mit den Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen. Sie übernahmen hierzulande aber trotzdem nicht öfter als andere Gruppen antidemokratisches Gedankengut.

«Die Forschung aus der Schweiz zeigt, dass sich hierzulande Menschen mit unterschiedlichen politischen Einstellungen und Weltanschauungen radikalisiert haben.»

Betroffene hätten gemeinsam, dass sie sehr weitreichende Forderungen bezüglich ihrer Freiheit haben.

Auch Ukraine-Krieg trägt zu antidemokratischer Radikalisierung bei

Extremismus-Forscher Dirk Baier gibt gegenüber Nau.ch zu bedenken, dass die Corona-Pandemie mit den verbundenen Schulschliessungen mittlerweile einige Jahre her sei.

«Die Erklärung ‹Corona ist schuld› erscheint daher wenig passend», sagt er. Negative Tendenzen wie eine Distanzierung von der Politik haben sich bereits vor dem Aufkommen des Coronavirus gezeigt.

Dirk Baier
Dirk Baier forscht am Institut für Delinquenz und Kriminalprävention der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). - ZHAW

«Die Corona-Pandemie war dann vielleicht ein Durchlauferhitzer, ist aber nicht die Ursache», sagt der Experte.

Weiter hätten seit Corona weitere Krisen wie die Energieknappheit oder der Ukraine-Krieg zum Antidemokratisierungs-Trend beigetragen. Hinzu kommt laut Baier auch Social-Media-Konsum als verstärkender Faktor.

Experte warnt vor jungen Männern – nicht Müttern

Der Experte stört sich im Zusammenhang mit den antidemokratischen Müttern auch am Begriff «Radikalisierung».

«Er ist aus meiner Sicht nicht passend», erklärt er. Denn: «Er vermittelt, dass sich eine Gruppe formt, die eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellt.»

Das sei aber «mitnichten der Fall».

«Der Begriff der Distanzierung, der Enttäuschung, des Rückzugs ist sicherlich angemessener», so Baier.

In der Schweiz seien am ehesten Jugendliche von Radikalisierung betroffen. «Aus meiner Sicht stellen junge, radikalisierte Männer generell ein deutlich grösseres Risiko dar als Mütter.»

Auch, weil Männer eher dazu neigen, ihre Radikalisierung auch in Gewalthandlungen auszudrücken. «Bei Müttern ist dieses Risiko verschwindend gering.»

Experte: Frust bei Müttern wegen Coronavirus «nachvollziehbar»

Auch er erinnert zudem an die grossen Herausforderungen, mit der Mütter während der Pandemie konfrontiert waren. «Dass dies Frust bezüglich der politischen Entscheidungen ausgelöst hat, ist nachvollziehbar.»

Aber: «Dies allein dafür verantwortlich zu machen, dass sich Frauen mit Kindern von Politik und Demokratie abwenden, scheint mir verkürzt.»

Kennst du jemanden, der sich während Corona antidemokratisch radikalisiert hat?

Vom Vertrauensverlust in die Politik und Demokratie in Deutschland seien zudem nicht nur Mütter betroffen.

Und: Die Situation in Deutschland hinsichtlich behörden- und demokratiefeindlicher Haltungen lässt sich nicht auf die in der Schweiz übertragen.

Baier erklärt: «Unsere Forschungen zu Einstellungen der Schweizer Bevölkerung zeigen, dass das Vertrauen in die Demokratie hier weiterhin sehr hoch ist.»

So sind seit 2018 durchgehend neun von zehn Personen mit der Demokratie zufrieden.

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