Haben Kinder wegen Corona Entwicklungs-Verspätung?
Einige Kinder kommen heute mit Windeln zur Schule und sind teilweise recht unselbständig. Spielt die Pandemie mit dem Coronavirus eine Rolle?
Das Wichtigste in Kürze
- Einige Kinder tragen bei der Einschulung noch Windeln – heute kommt das öfter vor.
- Ein Bericht aus Grossbritannien legt einen Zusammenhang mit Corona nahe.
- In der Schweiz vermuten Expertinnen aber einen anderen Hauptgrund.
In England schlägt eine Expertin Alarm: Die Kinder kommen mit Entwicklungsverzögerungen zur Schule. Einige tragen noch Windeln, so Anne Longfield, ehemalige Kinderbeauftragte des Landes.
In einem Bericht ihres Kinderzentrums steht, dass Corona wohl Ungleichheiten bei der Schulbereitschaft kleiner Kinder verschlimmert habe.
Windeln bei der Einschulung – ein Problem, das auch in der Schweiz bekannt ist. Bereits 2023 schlugen Lehrpersonen Alarm, weil immer mehr Kinder nach der Einschulung noch nicht trocken sind.
Dagmar Rösler, die oberste Lehrerin der Schweiz, sagt zu Nau.ch: «Auch ich habe schon gehört, dass sie teilweise noch Windeln haben und allgemein noch recht unselbstständig sind.»
Wirkt sich die Coronapandemie noch immer auf die Entwicklung der Kinder aus?
«Grosse Herausforderungen»
Rösler bezweifelt das, auch wenn sie die Gründe für das Phänomen nicht kennt. Sie hält aber eher das Alter für einen möglichen Faktor: Kinder werden heute in der Schweiz nämlich teilweise ein Jahr früher eingeschult.
Da sei klar: «Die frühere Einschulung und die damit verbundenen Erscheinungen stellen Kindergartenlehrpersonen vor grosse Herausforderungen. Vor allem dann, wenn sie alleine für über 20 kleine ‹Knöpfe› zuständig sind.»
Die Schule verlange trotzdem nicht, dass alle Kinder zu einem bestimmten Zeitpunkt am genau gleichen Entwicklungspunkt stehen. «Mit Entwicklungsunterschieden kann man in Schule und Kindergarten umgehen», sagt Rösler.
Aber: «Es gibt ein paar Dinge, die beim Eintritt in die Schule beziehungsweise dem Kindergarten sitzen sollten. Dazu gehören das Trockensein, erste soziale Kompetenzen und die Fähigkeit, sich für gewisse Zeit von den Eltern lösen zu können.»
Expertin kritisiert frühere Einschulung
Die Kinder sind also bei der Einschulung heute jünger als früher – trotzdem: Die meisten werden zwischen drei und vier Jahren trocken. Eingeschult werden sie in der Schweiz aber erst ab dem vierten Geburtstag. Warum also klappt es trotzdem nicht bei allen mit dem WC-Gang?
Die Zürcher Familienberaterin Katja Stäheli erklärt bei Nau.ch: «In dem Alter sind viele Kinder aus verschiedenen möglichen Gründen einfach noch nicht trocken. Das ändert auch die Einschulung nicht.»
Sie will deshalb auch nicht von verspäteter Entwicklung sprechen. «Die Herausforderung für alle Beteiligten ist der Entscheid, den Stichtag zu verändern und damit die Kinder früher einzuschulen.»
Sie kritisiert, dass dabei zu wenig Rücksicht auf die Entwicklung von vierjährigen Kindern genommen wird: «Ich persönlich verstehe nicht, warum so entschieden wurde.»
Coronamasken wirkten sich aufs Lernen aus
Man wisse aber auch, dass sich die Pandemie auf die Kinder ausgewirkt habe.
Zwei Beispiele: «Säuglinge bauen unter anderem über die Mimik und Körpernähe Bindung auf. Das Maskentragen und Abstandhalten hat das sicherlich erschwert.»
Schulkinder lernten Aussprache und Mimik anders, wenn die Lehrperson eine Maske trug. «Man lernt viel davon, wie jemand den Mund beim Aussprechen bewegt und wie der Klang des Wortes ist.» Und auch die Sprache klinge anders, wenn jemand eine Maske trägt.
«Corona hatte sicherlich einen Einfluss, aber wie stark der auf ein Kind wirkt, ist sehr individuell. Die Ressourcen der Familien, wie im Bericht aus England erwähnt, spielen sicherlich eine Rolle.»
Aber: Ob diese Auswirkungen so lang anhaltend sind, dass sie sich bis heute auf die Entwicklung jüngerer Kinder auswirken, sei unbekannt.