Coronavirus: Warum steigen Zahlen in Europa dermassen stark an?
Die Neuinfektionen mit dem Coronavirus steigen in Städten in Europa an. In Frankreich wurden gar 80 Prozent mehr Fälle als in der Vorwoche registriert. Warum?
Das Wichtigste in Kürze
- Die Corona-Zahlen in Europa schiessen in die Höhe.
- Frankreich verzeichnet 80 Prozent mehr Fälle, Deutschland 30 Prozent.
- Woran liegt dies? Am Winter, der Bevölkerungsdichte, der Impfrate? Nau.ch analysiert.
Es ist eingetroffen, wovor viele Experten im Sommer gewarnt hatten: Die Neuinfektionen in Europa mit dem Coronavirus steigen rapide – trotz Impfung.
Mögliche Gründe sind schnell gefunden. Etwa die Delta-Variante, die ansteckender und gefährlicher ist als der ursprüngliche Virustyp. Gemäss Studien soll sie auch widerstandsfähiger gegen die Impfstoffe sein.
Virologen warnten zudem früh, dass in den kälteren Jahreszeiten mit einem Wiederanstieg der Zahlen des Coronavirus zu rechnen sei. Menschen verbringen ihre Zeit wieder vermehrt drinnen, wo das Ansteckungsrisiko bekanntlich höher ist. Zudem lässt der Impfschutz allmählich nach.
Europa – Hotspot fürs Coronavirus
Insbesondere in der Slowakei, Slowenien, Österreich, Tschechien und den Niederlanden sind die Fallzahlen explodiert. Sie bilden die derzeitigen Top 5 der globalen Neuansteckungen. Brisant: Unter den 20 Ländern mit den meisten neuen Fällen liegen 16 in Europa. Darunter auch Belgien, Grossbritannien und Deutschland.
Doch warum trifft es gerade Europa so heftig? Für Jan Fehr, Professor am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention an der Universität Zürich ist der Fall klar: Es liegt an der Impfrate.
«Wir sehen derzeit vor allem eine extreme Zunahme der Neuinfektionen in den impfschwachen Ländern – Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wir sind in Westeuropa Schlusslicht.» Noch schlechtere Voraussetzungen hätten Länder wie Rumänien und Bulgarien mit einer Impfquote zwischen 25 und 35 Prozent.
Spanien, Portugal oder Italien beispielsweise hätten im Vergleich höhere Impfquoten. Zudem sind sie bei den Impfungen der besonders gefährdeten, älteren Bevölkerung Spitzenreiter. Damit haben diese Länder laut Fehr eine andere Voraussetzung. «Die Länder, die das verpasst haben, sind gerade enorm unter Druck.»
Hinzu komme die Delta-Variante, die weltweit einen Schub an Neuansteckungen gebracht hat in die «ohnehin kritischere kalte Jahreszeit hinein.»
«Könnten am gleichen Ort landen wie Österreich»
Die Schweiz weist laut Fehr eine «relativ hohe» Durchseuchung auf, wofür wir aber «einen grossen Tribut zahlen» mussten . «Möglicherweise federt dies die aktuelle Lage etwas ab. Aber es ist wichtig zu realisieren, dass trotzdem noch ein zu hoher Bevölkerungsanteil weder genesen noch geimpft ist.»
Fehr warnt: «Das ist eine prekäre Ausgangslage. Es kann durchaus sein, dass wir bald am gleichen Ort landen wie Deutschland und Österreich.» Er sei aber froh, dass Swissmedic grünes Licht für die Booster-Impfung für unter 65-Jährige gegeben habe.
Und weiter? Fehr sagt, dass eine Massnahme gegen das Coronavirus alleine wohl nicht mehr die Lösung bringe. Folgende Massnehmen seien zu berücksichtigen: «Boosterimpfungen und weitere Erst- und Zweitimpfungen sind wichtig, die Schweiz soll die 2G-Regel prüfen und anstreben. Die Bevölkerung muss wieder aktiv die Massnahmen einhalten.»
Sprich: «Strikt Masken tragen in Innenräumen, die Zertifikatspflicht muss strikter kontrolliert werden. Auch ist unter Umständen die Homeoffice-Pflicht wieder in Erwägung zu ziehen.»
Es solle wieder breit auf das Coronavirus getestet werden, sinnvoll sei die Wiedereinführung der Gratistests. «Allerdings sollte die Zertfikatsdauer verkürzt werden. Und leider müssen wir dieses Jahr nochmals auf Advents-Apéros in grosser Runde verzichten.»
Und als Ultima Ratio? «Auch wenn das niemand will, steht leider wieder der Lockdown im Raum.» Was sicher nicht gehe, sei nur abwarten. «Ich hatte gehofft, dass wir aus dem Sommer 2020 gelernt hätten, aber wir haben es wieder einmal verpasst.»
Er ärgert sich: «Es lässt mich beinahe verzweifeln, dass wir als Gesellschaft kurz vor dem Ziel wieder zu nachlässig waren.» Man habe den langsamen Impffortschritt einfach zur Kenntnis genommen.