Detektiv-Gesetz: SVP-Vize-Präsident stellt sich gegen eigene Partei
Die SVP gibt sich gerne als Kämpferin gegen Sozialschmarotzer. Die erweiterten Überwachungsbefugnisse im Sozialversicherungsrecht begrüsst sie daher. Ausgerechnet ein SVPler und Sozialversicherungs-Experte kritisiert nun diese Überwachungspraktiken.
Das Wichtigste in Kürze
- Die SVP will das Gegenkomitee führen, falls das Referendum zum Sozialversicherungsgesetz zustande kommen sollte.
- Widerspruch kommt nun ausgerechnet von einem SVP-Anwalt und Vize-Präsident der Solothurner Kantonalpartei.
- Er kritisiert: die Massnahmen würden über das Ziel hinausschiessen und den Vertrauensverlust fördern.
Die SVP reklamierte den Erfolg für sich, als das Parlament in der Frühlingssession dem verschärften Sozialversicherungs-Gesetz grünes Licht gab. Endlich ginge es damit Versicherungsbetrügern an den Kragen. Ohne Gerichtsentscheid lassen sich Sozialversicherungs-Empfänger mit Ton-, Foto- und Videoaufnahmen überwachen. Die SVP versteht sich als Kämpferin gegen Sozialschmarotzer.
Widerstand aus den eigenen Reihen
Die ganze SVP? Nein! Ein Politiker aus den eigenen Reihen widerspricht: «Das Detektiv-Gesetz ist nicht zielführend», sagt Rémy Wyssmann, Vize-Präsident der SVP im Kanton Solothurn. Der Mann weiss wovon er spricht: Er ist Experte und Dozent für Sozialversicherungsrecht. Er hält das Gesetz für kontraproduktiv, wie die «Aargauer Zeitung» schreibt.
Bürger wollen mit Respekt behandelt werden
Dabei ist Wyssmann unbedingt für eine Verfolgung von Betrügern. «Eine gesetzliche Regelung der bisher illegalen privaten Observierungen ist überfällig.» Doch er kritisiert, dass Versicherer mit dem neuen Gesetz mehr Überwachungsmöglichkeiten bekommen, die deutlich weiter gehen als diejenigen von Strafverfolgern. Ermittlungen bei Betrug seien jedoch Aufgabe der Staatsanwaltschaft und der Polizei.
Grundsätzlich sorgt sich Wyssmann um einen Vertrauensverlust. Die Bürger wollen «im Ernstfall auch anständig und mit Respekt behandelt werden», wenn sie schon gezwungen sind, ihr Geld den staatlichen Sozialversicherungen anzuvertrauen. Der Anwalt weiss zudem: «Es sind nicht nur Drückeberger, die von Bespitzelung betroffen sind». Nicht selten reiche ein schwammiger Verdacht.
Ausser Spesen, nichts gewesen
Auslöser für Wyssmanns Kontra waren nicht zuletzt die Darstellungen von Ex-SP-Nationalrat Rudolf Strahm. Dieser unterstützt das Gesetz, weil so das Vertrauen der Bürger gegenüber den Sozialwerken geschützt werde. Wyssmann widerspricht: Statt auf die Arbeitssuche konzentrierten sich die betroffenen Versicherten auf ihre Gerichtsverfahren, gleichzeitig stiegen die Kosten für Verwaltung und Verfahren zulasten der Allgemeinheit.
Wird ein Betrüger tatsächlich überführt (2016 waren das 650 von 1860 Fälle, also 35 Prozent), ist das für den SVP-Politiker ein zweifelhafter Erfolg: «Ein grosser Teil der Betroffenen landet nicht zurück in der Arbeitswelt, sondern in der Sozialhilfe.» Statt Ursachen-, macht man Symptombekämpfung. Überwachung ist für den SVP-Sozialversicherungs-Anwalt eindeutig das falsche Mittel.