Emotionale Debatte über Corona-Krise und Gleichstellung
Am Donnerstag wurde emotional über die Corona-Krise und Gleichstellung diskutiert. Die Meinungen gingen bei letzterem auseinander.
Das Wichtigste in Kürze
- «Vor einem Jahr ging eine violette Welle durch die Schweiz», sagte Nationalratspräsidentin Isabelle Moret (FDP/VD) vor Beginn der Debatte.
«Vor einem Jahr ging eine violette Welle durch die Schweiz», sagte Nationalratspräsidentin Isabelle Moret (FDP/VD) vor Beginn der Debatte.
Diese habe auch das Parlament erfasst. «Wir werden daher heute über die Gleichstellung zwischen Mann und Frau diskutieren.» Das Nationalratsbüro hatte die Dringlichkeit von drei Interpellationen der SP-, Grünen- sowie GLP-Fraktion bejaht.
Einzelne Parlamentarier und Parlamentarierinnen traten mit violettem T-Shirt, Krawatte oder Ansteck-Pin ans Rednerpult.
Gleichstellung sei noch nicht am Ziel
«Während der Krise sind die Männer medial und in der Öffentlichkeit sehr präsent gewesen», sagte Irène Kälin (AG/Grüne). «Es ist das Bild vermittelt worden, dass sie uns gerettet haben.» Dabei seien es die Frauen in den systemrelevanten Berufen gewesen, an den Kassen und zwischen den Regalen und in Kindertagesstätten, die die Schweiz durch die Krise getragen hätten.
Das sei eine «unglaubliche Leistung» gewesen und habe gezeigt, dass die Gleichstellung noch lange nicht dort sei, wo sie sein sollte, schloss Kälin daraus. «Ich fordere daher eine Aufwertung der systemrelevanten Berufe.»
Ihr wurde von SVP- und FDP-Vertretern vorgeworfen, dass ihrer Ansicht nach Männer offenbar nicht systemrelevant seien oder in systemrelevanten Berufen nur Frauen arbeiteten, was Kälin verneinte. Aber man müsse jetzt einmal eine Stunde die Frauen in das Zentrum stellen.
Das passte Mitgliedern von SVP und FDP nicht, sie sahen darin einen Angriff auf die Männer. «Mir hängt das Männer-Bashing in diesem Saal zum Hals heraus», sagte Hans-Peter Portmann (FDP/ZH) ganz direkt. Dieser «Pseudo-Geschlechterkampf» sei gefährlich, pflichtete ihm Diana Gutjahr (SVP/TG) bei.
Ins selbe Horn stiess FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen (BE). Es gehe nicht an, wie die SP, die Grünen und die GLP einen Kampf von Mann gegen Frau vom Zaun reissen wollten. Gleichstellung sei eine Aufgabe beider Geschlechter.
Philipp Kutter (CVP/ZH) versuchte, die Wogen zu glätten. «Die Corona-Krise hat viele Gesichter, wir brauchen Frauen und Männer, um sie zu bewältigen.» Ein Geschlechterkampf sei nicht angebracht.
Kinderbetreuung essentiell für Volkswirtschaft
Die Krise habe gezeigt, dass Job-Sharing, Teilzeitarbeit und Homeoffice sowie eine kostengünstige Kinderbetreuung gefördert werden müssten. Letzteres sei kein Nice-To-Have. «Fällt die Betreuung weg, leidet auch die Volkswirtschaft», sagte Kutter.
Es fehle ganz offensichtlich an Infrastrukturen, die das auffangen könnten, sagte Kathrin Bertschy (GLP/BE). Für den Ausbau und bessere Finanzierung der Organisationen der familienexternen Kinderbetreuung brauche es mehrere Hundert Millionen Franken pro Jahr.
Auch Wasserfallen verschloss sich der Thematik nicht. Ansetzen müsse man bei der Individualbesteuerung von Ehepaaren, sagte er. So hätten Frauen einen höheren Anreiz, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Bei der Kinderbetreuung habe das Parlament die «flexible Lösung» einer Elternzeit «leider verpasst».
Die SP-Fraktion fokussierte auf Hausangestellte und Reinigungskräfte, die von der Corona-Krise besonders getroffen worden seien. Das Problem sei nicht neu, sagte Mustafa Atici (SP/BS), sei aber mit der Krise verschärft hervorgetreten. Es handle sich um meist sozial schwache Frauen, die auf jeden Rappen angewiesen seien. Es brauche für diese Menschen rasche und wirksame Lösung, um die «prekäre Situation» zu beenden.
Bundesrat unterstützt Vereinbarkeit zwischen Privat- und Berufsleben
Der Bundesrat sieht derzeit keinen konkreten Handlungsbedarf. «Wir glauben, dass die bestehenden Instrumente genügen und funktionieren», sagte Bundesrat Guy Parmelin. Es würden sich immer mehr Kantone, Städte und Unternehmen beteiligen, ergänzte Innenminister Alain Berset.
Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit unterstütze der Bund mit einem befristeten Impulsprogramm, mit dem zusätzliche Plätze für die Tagesbetreuung von Kindern geschaffen werden.
Zu
r Verbesserung der Arbeitsbedingungen in systemrelevanten Berufen trage die Regierung ausserdem mit dem Masterplan «Bildung Pflegeberufe» Rechnung, sagte Berset. Bei den Hausangestellten hätten viele Kantone Instrumente entwickelt, um Menschen mit niedrigen Arbeitspensen zu unterstützen, sagte Parmelin.
Am Schluss stimmte der Nationalrat mit mit 139 zu 57 Stimmen einem Postulat von Ratspräsidentin Moret zu. Es fordert den Bundesrat auf, dem Parlament einen Überblick zu geben über die Bedürfnisse und das Angebot hinsichtlich Beratung zur Erleichterung der beruflichen Wiedereingliederung von Frauen. Im Fokus stehen sollen die elf Beratungsstellen, die früher vom Bund mitfinanziert wurden.