Ermittlungen gegen bekannten Alternativmediziner im Appenzell
In Appenzell Ausserrhoden boomt die Alternativmedizin. Jetzt wird gegen einen bekannten Arzt wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Doch der Kanton zögert.
Das Wichtigste in Kürze
- Appenzell Ausserrhoden ist die Alternativmedizin-Hochburg der Schweiz.
- Jetzt wird bekannt: In einer Luxus-Klinik verstarben im Frühjahr 2021 zwei Frauen.
- Doch der Kanton will gegen den Star seiner Szene nur sehr zögerlich ermitteln.
Todesfälle erschüttern die Alternativmedizin-Hochburg der Schweiz: In Appenzell Ausserrhoden starben mehrere Frauen nach einer Behandlung in einer luxuriösen alternativmedizinischen Klinik. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung, wie die «NZZ am Sonntag» schreibt.
Es geht um zwei Todesfälle, die sich innert drei Wochen im Biomed Center Sonnenberg des bekannten Dr. Thomas Rau in Schwellbrunn AR ereigneten. Im Frühjahr 2021 verstarb eine 77-jährige Patientin an einem Herz-Kreislauf-Versagen bei septischem Schock.
Die Zürcher Rechtsmedizin fällt dazu im Obduktionsbericht ein vernichtendes Urteil: Die Frau habe an einer Darmlähmung gelitten, Bakterien gelangten dadurch in den Körper und vergifteten ihr Blut. «Aus rechtsmedizinischer Sicht ist es unbegreiflich, warum der behandelnde Arzt Dr. med. Thomas Rau keine geeignete Diagnostik durchführte.»
Es hätten mehrere Warnzeichen für eine Darmlähmung vorgelegen. Eine Bauchschmerztherapie dürfe vor dem Ausschluss einer Darmlähmung niemals durchgeführt werden. «Dieses Wissen wird im Medizinstudium unterrichtet und gilt als Basiswissen der Humanmedizin.»
Tödlich verlaufender off label use
Nur wenige Wochen später wird einer weiteren Frau eine Alpha-Liponsäure-Lösung als Teil einer Kur gegen Verdauungsbeschwerden und Kopfschmerzen gespritzt. Die Infusion wird in Deutschland bei langjährigen Diabetikern mit Nervenschäden eingesetzt. In der Schweiz ist sie damals nicht als Arzneimittel zugelassen.
Ein paar Stunden später setzen bei der Patientin starke Bauchkrämpfe und Schmerzen im ganzen Körper ein. Die Zahl der Plättchen in ihrem Blut fällt dramatisch ab. Auf der Intensivstation in Herisau verstirbt die Frau an Leber- und Nierenversagen. Die Gutachter kommen zum Schluss: Es handle sich «am ehesten um eine letal verlaufende Arzneimittelnebenwirkung».
Sogenannter «off label use» ist in der Schweiz stark reguliert: Behandlungen dürfen nur auf «Basis von gültigen Leitlinien, allgemein anerkannten Empfehlungen oder wissenschaftlicher Literatur durchgeführt werden». Dazu müssen Patienten umfangreich über Risiken aufgeklärt werden und ihre Einwilligung geben. Eine solche Dokumentation fehlt aber.
Kanton soll Rau mit Samthandschuhen anfassen
Die Beschuldigten bestreiten derweil alle Vorwürfe und kritisieren die Gutachten.
Der Fall ist für Appenzell Ausserrhoden äusserst heikel. In dem Kanton ist die Alternativmedizin ein wichtiger Gesellschafts- sowie Wirtschaftsfaktor. Das kantonale Gesundheitsdepartement beliess es im Fall Sonnenberg bei «informellen Abklärungen» und ergriff keine Massnahmen.