Erste Beiträge an Opfer von Medikamententests im Thurgau ausbezahlt
Der Thurgau hat erste Entschädigungen von je 25'000 Franken an Opfer von Medikamententests zwischen 1940 und 1980 ausgezahlt.
Der Thurgau hat erste Beiträge von je 25'000 Franken an Opfer von Medikamententests ausbezahlt. Darauf Anspruch haben Personen, denen im Zeitraum zwischen 1940 bis 1980 in psychiatrischen Kliniken im Kanton Thurgau aktenkundig Testpräparate verabreicht wurden.
Bis 9. Januar seien die ersten 15 Gesuche um einen Solidaritätsbeitrag eingegangen, erklärte der Thurgauer Staatsarchivar André Salathé gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Am 1. Januar trat ein entsprechendes Gesetz in Kraft.
Zwei der eingetroffenen Gesuche seien bereits gutgeheissen und die entsprechenden Auszahlungen veranlasst. Der Kanton rechnet mit bis zu 500 heute noch lebenden Bezugsberechtigten beziehungsweise einer Maximalsumme von 12,5 Millionen Franken. Erben sind als Gesuchsteller ausgeschlossen.
Psychiater Roland Kuhn verantwortlich für unzulässige Medikamententests
Verantwortlich für die damaligen Medikamententests war der Psychiater Roland Kuhn, der als Entdecker des ersten Antidepressivums gilt. In der psychiatrischen Klinik Münsterlingen testete er für die Pharmaindustrie nicht zugelassene Substanzen an teils ahnungslosen Patienten.
Im Jahr 2021 legte die vom Kanton Thurgau in Auftrag gegebene wissenschaftliche Aufarbeitung «Testfall Münsterlingen» die enorme Dimension der damaligen Tests mit Psychopharmaka offen. Gemäss den verantwortlichen Historikerinnen und Historikern der Universität Zürich waren damals bis zu 3000 Personen betroffen.
Als sich der Thurgau entschied, Entschädigungszahlungen an die noch lebenden Opfer zu leisten und dafür ein Gesetz auszuarbeiten, nahm er auch die damaligen Profiteure der Tests in die Pflicht. Die Pharmaindustrie trage aus heutiger Sicht eine gewisse moralische Mitverantwortung, schrieb der Regierungsrat damals in seiner Botschaft an den Grossen Rat.
Novartis beteiligt sich mit bis zu 4 Millionen Franken
Nach entsprechenden Verhandlungen beteiligt sich nun der Basler Pharmakonzern Novartis als Nachfolger der damaligen Firmen mit maximal 4 Millionen Franken an den Solidaritätsbeiträgen im Kanton Thurgau.
Der Thurgau nimmt mit den Entschädigungen der Opfer von Medikamententests eine schweizweite Pionierrolle ein. Den Anstoss gab eine Motion von SP und Grünen im Kantonsparlament.
Dort sprachen die Parlamentarierinnen und Parlamentarier von einer Anerkennung an jene Menschen, die ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte des Kantons am eigenen Leib erfahren hatten.
Gesuche sollen bis Ende 2028 eingereicht werden können. Das Gesetz über den Solidaritätsbeitrag für Betroffene von Medikamententests ist befristet bis Ende 2031.