Experten: «Genderneutrale Erziehung bewirkt oft das Gegenteil»
Wirtschaftsmoderatorin Patrizia Laeri ist mit ihrer genderneutralen Erziehung «gescheitert» – so ergeht es Hunderttausenden Eltern. Experten erklären, warum.
Das Wichtigste in Kürze
- Kürzlich postete Patrizia Laeri ein Foto ihrer Buben in Kampf-Montur.
- Viele Eltern teilten daraufhin das Scheitern ihrer genderneutralen Erziehung.
- Das Problem der Erziehungsmethode: Oft bewirkt sie das pure Gegenteil der Absicht.
Letzte Woche löste Patrizia Laeri (43) auf Twitter eine Solidaritätswelle aus. Die Ex-SRF-Frau postete ein Foto ihrer Söhne mit Spielzeug-Gewehren und Kugelwesten – dazu schrieb sie: «Hier übrigens das Resultat meiner genderneutralen Erziehung. Ich kapituliere!»
Unter dem Tweet erzählen andere Eltern mit einem Augenzwinkern von ihren Erfahrungen mit der Erziehungsmethode – viele mussten aufgeben. «Wir können uns noch so hintersinnen. Es lässt sich kaum ändern, stelle ich als Mutter von ebenfalls zwei Söhnen fest», schreibt eine Nutzerin.
Ein User postet ein Foto von Dutzenden Spielzeug-Rössli und meint dazu: «Derweil bei mir so...» Andere schreiben einfach kurz und knapp «Das kenne ich!» oder «dieselbe Story hier.»
Psychologe Guggenbühl: «Aus Kindern werden Tussis und Machos!»
Die vielen Leidensgenossen von Laeri wundern Allan Guggenbühl, ein Zürcher Psychologe und Erziehungsexperte, nicht. «Das ist eine Erfahrung, die Hunderttausende Mütter machen», sagt er auf Anfrage von Nau.ch. «Wenn man ganz bewusst ignoriert, dass es typisches Mädchen- oder Bubenverhalten gibt, bewirkt dies genau das Gegenteil der Absicht.»
Kurz: «Aus den Kindern werden Tussis und Machos.» Das zeige seine und auch die Erfahrung vieler Pädagogen: Gehe die Erziehung nicht auf ein bestimmtes Thema oder Bedürfnis des Kindes ein, ist es damit alleingelassen. «Mädchen wollen beispielsweise herausfinden, was es heisst, ein Mädchen zu sein. Und wenn man ihnen das nicht zeigt, orientieren sie sich an Extremen.»
Guggenbühl nervt sich über «kollektive Leugnung von Unterschieden»
Doch was bedeutet das überhaupt, «genderneutrale Erziehung»? Eltern, die auf genderneutrale Erziehung setzen, haben laut Guggenbühl oft Angst, Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten zu fördern.
«Das führt zu einer Art kollektiven Leugnung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern», beobachtet er. «In dieser fixen Ideologie darf man diese Unterschiede gar nicht mehr ansprechen.»
Berner Kinderpsychologe: «Laeri ist nicht gescheitert»
Kinder- und Jugendpsychologe Philipp Ramming stimmt mit Guggenbühl überein: «Man muss Unterschiede benennen und lernen, mit ihnen umzugehen. Sie zu leugnen macht krank», sagt der Therapeut aus Bern zu Nau.ch.
Eine genderneutrale Erziehung existiert in seinen Augen allerdings nicht. «Es gibt nur eine gender-bewusste Erziehung.» Dabei gehe es darum, Verhalten, das automatisch andere diskriminiert, zu verlernen. «Gender-Stereotypen sollen bewusst gemacht werden.»
Rollenmodelle seien dann hilfreich, wenn sie eine Orientierung anböten: «Wie kann man Mann sein, wie kann man Frau sein?» Toxisch würden sie aber, wenn sie dazu benutzt werden, Verhalten vorzuschreiben und einzugrenzen. «Also wenn man sagt, ein Mann oder eine Frau muss so oder so sein und darf dies oder das nicht.»
Patrizia Laeris Kapitulation sieht Ramming keineswegs als Scheitern. «Mir gefallen die Jungs und auch das Augenzwinkern, mit dem auf den Tweet reagiert wird.» Erziehen sei ein stetiges Lernen – «natürlich klappt nicht immer alles.»
«Bub klaute Autos, weil Mutter ihm keine kaufte»
Allan Guggenbühl dagegen kennt mehrere Beispiele gescheiterter genderneutralen Erziehung aus der Praxis. «Eine Mutter hat mir erzählt, als sie nach ihrer Tochter noch einen Sohn bekam, wollte sie kein neues Spielzeug kaufen. Sie dachte, der Bub könne schliesslich die gleichen Sachen brauchen.»
Autos und Lastwagen gab es in dem Haushalt keine – plötzlich war die ganze Wohnung jedoch voll von kleinen Spielzeugautos. «Der Bub hat sie von anderen Kindern geklaut, weil er unbedingt Autos haben wollte.»
Eine andere Mutter habe ihm gesagt, sie wolle ihrem Sohn keine Spielzeugwaffen kaufen. «Was ist passiert? Er hat sich aus einem Stück Toast eine Pistole gebastelt und ist damit herumgerannt.»
Experte: «Man sollte Spielsachen nicht werten»
Soll man also den Jungs nur Autos und Schwerter und den Mädchen nur Puppen und Krönchen zum Spielen geben? Im Gegenteil, so Guggenbühl: «Man sollte allen Kindern auch gegenteilige Spielzeug-Angebote machen, spielerisch darauf eingehen und nicht werten.»
Spielt etwa ein Bub mit einem klassischen «Mädchen-Spielzeug», solle man auf keinen Fall sagen: «Buben spielen nicht mit Puppen.»