Fundi-Kirchen fliegen Bräute aus dem Ausland ein
In der Schweiz gibt es verschiedenste fundamentalistische Gemeinschaften. Viele kämpfen mit Mitgliederschwund – es werden extra Eheleute aus dem Ausland geholt.

Das Wichtigste in Kürze
- Viele fundamentalistischen Gemeinschaften haben mit Mitgliederschwund zu kämpfen.
- Eine Lösung: Sie holen Ehefrauen aus dem Ausland.
- Viele stammen aus Deutschland, doch teils werden die Frauen gar aus Afrika geholt.
Fundamentalistische religiöse Gemeinschaften in der Schweiz haben es zunehmend schwer, Mitglieder zu halten oder anzuwerben.
Ein Grund: Technologie erschwert es den Gruppierungen, die im Volksmund gerne als Sekten bezeichnet werden, ihre Mitglieder abzuschotten.
Ein junges Mitglied, das skeptisch wird, ist heute schliesslich nur eine Google-Suche von zahlreichen Informationen entfernt. Kritische Erfahrungsberichte von Aussteigern inklusive.
Um dem Mitgliederschwund entgegenzuwirken, müssen also Lösungen her.
Eine davon: Ehefrauen aus dem Ausland einfliegen. Für einige besonders konservative Kirchen kommt es nämlich nicht infrage, ausserhalb der Gemeinschaft zu heiraten.
Schon winzige Differenzen verhindern Zusammenleben
Religionsexperte Georg Otto Schmid erklärt bei Nau.ch: «Bei fundamentalistischen Gemeinschaften gibt es eine deutliche Tendenz, Ehen unter Mitgliedern der eigenen Gemeinschaft zu schliessen.»
In Freikirchen werde munter zwischen den einzelnen Gemeinden hin- und her geheiratet. Anders die fundamentalistischen Gemeinschaften.
«Sie empfinden ihre von aussen gesehen teils minimalen Differenzen zu ähnlichen Gruppen als absoluten Hinderungsgrund für ein Zusammenleben.»
Die Folge: «Das kann dazu führen, dass zwar innerhalb der eigenen Gemeinschaft, aber weit über die Landesgrenzen hinweg geheiratet wird.»
Betroffen seien international aktive Gemeinschaften mit nur wenigen Schweizer Mitgliedern.
Ehefrauen stammen aus Deutschland oder Afrika
Einige Beispiele für solche fundamentalistischen Gemeinschaften, die tendenziell nur intern heiraten: «Die Norweger mit Schwerpunkt in der Ostschweiz, die Namenlosen, die Gemeinde evangelisch Taufgesinnter oder die Christlichen Versammlungen.»
Laut Schmid sind die drei erstgenannten in der Schweiz eher klein. «Sie sind also besonders auf Heiraten über die Landesgrenze angewiesen.»
Neu dazu gekommen sei in den letzten Jahrzehnten die Organische Christus-Generation OCG. «Sie legt ebenfalls Hochzeiten untereinander nahe. Bei ihr sind Eheschliessungen zwischen deutschen und schweizerischen Staatsangehörigen sehr häufig», erklärt Schmid.
Viele Ehefrauen kommen also aus Deutschland – doch einige gehen für die Liebe deutlich weiter über die Landesgrenzen hinaus.
Susanne Schaaf von der Informationsstelle Infosekta berichtet Nau.ch, sie habe auch Anfragen zu Männern, die Frauen aus Afrika holen wollen. Das sei aber «sehr selten».
«Frau zieht zur Familie des Mannes»
Die Rede ist bewusst von Frauen.
Denn: «In fundamentalistischen Gemeinschaften ist eine patrilokale Eheschliessung üblich. Das heisst, die Frau zieht zur Familie des Mannes», sagt Schmid.
Also wie auch traditionell in der Schweizer Landwirtschaft. Eine Ausnahme ist beispielsweise, wenn die Familie der Frau auf einen Mann vor Ort angewiesen ist.
Ein wichtiger Grund für die Eheschliessungen über die Landesgrenzen hinweg: «In der Vergangenheit blieb die eigene Jugend typischerweise in den fundamentalistischen Gemeinschaften», sagt Schmid.
«Ermöglicht wurde dies durch eine recht rigide Abschottung gegen aussen.»
Nachwuchs-Situation in vielen Gemeinschaften «recht prekär»
Weil das heute nicht mehr so einfach ist, «ist die Nachwuchs-Situation in vielen fundamentalistischen Gemeinschaften teilweise recht prekär geworden».
Andere fundamentalistische Gemeinschaften können diesen Trend laut Schmid durch eine betont hohe Kinderzahl bis zu einem gewissen Grad noch abfedern.

In gewissen Kirchen ist es keine Seltenheit, dass ein Elternpaar um die zehn Kinder hat. Ein Beispiel ist die Bibelgemeinde EBG, die auf Frisur und Kleidung setzt, wie das früher der Brüderverein tat. Die Meitli tragen Zöpfe und Jupe, die Buben kurze Haare.
Arrangierte Ehen üblich
Doch wie ticken diese Gemeinschaften überhaupt, die so fundamentalistisch eingestellt sind, dass selbst kleine religiöse Unterschiede eine Partnerschaft verunmöglichen?
Ein paar Muster: Über die Evangelisch Taufgesinnten berichten Ex-Mitglieder, arrangierte Ehen seien üblich. Sie würden von den Ältesten organisiert – zwischen Eheleuten, die sich vorher nicht kannten, wie die Informationsstelle Relinfo schreibt.

Die Norwegerbewegung lehnt alle Kirchen ab und wird deshalb wegen ihres «Elitarismus» kritisiert. Mitglieder glauben zudem, sündenfrei leben zu können. Auch das wird von Kritikern bemängelt.
Ähnlich die Namenlosen: Auch sie halten sich für die einzig wahren Jesus-Anhänger. Darum lehnen sie konfessionelle Bezeichnungen ab.
Innerhalb der Gemeinschaft gelten laut Relinfo strenge Regeln: «Unauffällige Kleidung, kein Schmuck, lange Haare bei Frauen, kurze bei Männern, keine Piercings, keine Tattoos.»
Auch «weltliche Vergnügungen» wie Rauchen, Alkohol oder TV sind tabu.
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