Grosser Teil der Knast-Einweisungen ist wegen ÖV-Bussen

Anna Baumert
Anna Baumert

Aarau,

Ein Schweizer ist schon «bestimmt 50 oder 60 Mal» hinter Gittern gelandet. Grund sind unbezahlte SBB-Bussen. Dabei sind die Gefängnisse ohnehin schon voll.

SRF
Marcel Brugger musste schon oft ins Gefängnis, weil er Bussen fürs Schwarzfahren nicht bezahlt hat. - SRF

Das Wichtigste in Kürze

  • Jährlich müssen tausende Menschen wegen unbezahlten Bussen ins Gefängnis.
  • 2023 machten solche Ersatzfreiheitsstrafen über die Hälfte der Gefängnis-Einweisungen aus.
  • Vor allem Personen aus dem Tieflohnsektor sind davon betroffen.

Wer beim Schwarzfahren erwischt wird, erhält zunächst mal eine Busse. Wird der offene Betrag nicht beglichen, flattern Mahnungen ins Haus. Bezahlt die betroffene Person diese auch nicht, muss sie irgendwann eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten. Meistens dauert diese einige Tage – sie kann sich aber auch über Wochen oder Monate ziehen.

Und das kommt gar nicht mal so selten vor. Neue Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen: Im vergangenen Jahr machten Ersatzfreiheitsstrafen 53 Prozent aller Einweisungen aus.

11 Prozent gingen in den Knast, statt Geldstrafen für schwerere Delikte wie Einbruchdiebstahl zu zahlen oder gemeinnützige Arbeit zu leisten. 42 Prozent traten ins Gefängnis ein, um einer Busse zu entkommen. Diese Bussen wurden unter anderem fürs Schwarzfahren im Zug verhängt.

Marcel Brugger ist das schon mehrmals passiert. Er sagt in der SRF-Sendung «10vor10»: «Bestimmt 50 oder 60 Mal, wahrscheinlich mehr» sei er wegen SBB-Bussen im Gefängnis gewesen.

Er erklärt: «Es ist nicht so, dass ich nicht zahlen will, ich kann es nicht. Mir fehlt das Geld dazu, wenn ich von meinem Wohnort im Aargau nach Zürich zur Drogenersatzabgabe fahre.»

Mittellose Menschen oft betroffen

Personen, die Ersatzfreiheitsstrafen wegen Bussen fürs Schwarzfahren verbüssen, sind «vor allem Leute aus dem Tieflohnsegment. Leute, die überfordert und ohnmächtig sind und den Überblick nicht mehr haben», erklärt Lorenz Bertsch, Schuldenberater bei der Caritas.

Denn: «Niemand lässt freiwillig einfach zu, dass aus 50 Franken eine 500-Franken-Busse wird und geht sogar noch ins Gefängnis.»

Hast du schon mal eine Busse fürs Schwarzfahren erhalten?

Im Jahr 2023 gab es insgesamt 9297 Gefängnis-Einweisungen. Davon waren 4964 Einweisungen in die Ersatzfreiheitsstrafe. Und das, obwohl die Schweizer Gefängnisse sowieso oft bereits an ihrer Kapazitätsgrenze sind. Den Staat kostet die Ersatzfreiheitsstrafe mindestens rund 200 Franken pro Tag und Insasse.

Ersatzfreiheitsstrafe «teuer» und «desozialisierend»

Strafvollzugs-Experte Benjamin Brägger kritisiert diese Massnahme. Er sagt: «Die Ersatzfreiheitsstrafe ist teuer, belastet das System ungemein und sie ist für die Betroffenen in der Regel nur schädlich. Sie kann desozialisierend sein.»

Auch Caritas-Schuldenberater Bertsch erklärt, er wisse von Personen, die sogar ihren Job verloren haben, weil sie ins Gefängnis mussten.

Iris Brugger, die Ehefrau von Marcel Brugger, hält fest: «Mit Gefängnis erreicht man wirklich nichts. Man geht nur immer wieder retour. Du kommst nicht vorwärts, wenn dir immer wieder etwas in den Weg gelegt wird.»

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