Hausgemeinschaft kämpft am Idaplatz vergeblich gegen Rauswurf
Eine Hausgemeinschaft in Zürich kämpfte gegen ihren Rauswurf. Trotz versprochener Umbauten, die bisher ausblieben, steht sie rechtlich mit leeren Händen da.
Das Wichtigste in Kürze
- Gegen eine Kündigung wegen Sanierungsarbeiten wehrt sich eine Hausgemeinschaft vergeblich.
- Obwohl die meisten bereits ausgezogen sind, haben die Arbeiten noch nicht begonnen.
- Sich rechtlich gegen eine solche Kündigung zu wehren, ist meistens zwecklos.
Helen hat zum Abendessen eingeladen. Es dauert noch eine Viertelstunde, bis die Gäste eintreffen, aber es ist schon alles vorbereitet: Der Tisch ist gedeckt, die Suppe steht auf dem Herd, die Käsewähe im Ofen ist auch schon fertig.
Helen ist etwas nervös, denn ihre Besucher:innen sehen zum ersten Mal ihre neue Wohnung, in der sie seit Ende August lebt. Freiwillig ist sie nicht ausgezogen, genauso wenig wie Steffi*, Peter*, Denise* und Mona*.
Die Fünf verbindet ein gemeinsames Schicksal. Sie wohnten im selben Haus am Idaplatz in Zürich. Vor zwei Jahren erhielten sämtliche Mieter:innen die Kündigung, weil das Haus saniert werden sollte und dabei nicht bewohnt bleiben konnte. «Ich habe gerne am Idaplatz gewohnt», sagt Helen.
18 Jahre lang lebte sie in dem Haus. Als alleinstehende Rentnerin mochte sie den Trubel. Auch wenn die Umstellung anfangs nicht einfach war, fühlt sie sich mittlerweile wohl in ihrer neuen Wohnung. «Ich musste damit abschliessen, um meinen Frieden zu finden.»
Ein Brief verändert alles
Es ist kurz nach 19 Uhr. Inzwischen sind alle eingetroffen. Beim Apéro erinnern sich die Freund:innen an die Zeit vor zwei Jahren zurück, als die Kündigung bei ihnen in den Briefkasten flatterte und das Leben aller ziemlich durcheinandergebracht wurde.
«Als wir erfuhren, dass wir gehen müssen, haben wir uns sofort im Haus-Chat kurzgeschlossen», erinnert sich Mona. Sie erzählt, dass sie den Vermieter bei ihrem Einzug drei Jahre zuvor explizit gefragt habe, was er mit dem Haus vorhabe. «Wenn ich gewusst hätte, dass ich nach so kurzer Zeit wieder ausziehen muss, wäre ich gar nicht erst eingezogen.»
Doch der Eigentümer, der das Haus von seinen Eltern geerbt hatte, beschwichtigte. Laut Mona sagte er, dass er das Haus einer Stiftung überschreiben wolle. Für die Mieter:innen würde sich aber nichts ändern. Er versicherte ihr, dass alle zu den gleichen Konditionen bleiben könnten.
Umso überraschender kam die Kündigung. Es sei schnell klar gewesen, dass sie den Rausschmiss nicht einfach hinnehmen werden. Sie fochten die Kündigung als unwirksam und missbräuchlich an. Neben den bürokratischen und formalen Herausforderungen, die eine Anfechtung mit sich bringt, standen sie alle vor der Frage, wie und vor allem wo ihr Leben weitergehen soll.
Es sei eine nervenaufreibende Zeit gewesen, sind sich alle einig. Denn einerseits hielten sie an der Hoffnung fest, doch noch bleiben zu können, andererseits war allen klar, dass sie sich auf eine lange und mühsame Wohnungssuche einstellen mussten, wenn die Anfechtung erfolglos bleiben würde.
Absage um Absage
Zum Schlichtungstermin fast ein halbes Jahr später brachten sie stapelweise Absagen von Wohnungen mit, auf die sie sich beworben hatten – als Beweis dafür, dass sie trotz aller Bemühungen keine vergleichbare Wohnung finden konnten.
Sie hofften auf eine Einigung, dass die Umbauten so gestaltet werden könnten, dass sie trotzdem bleiben oder zumindest nur für eine gewisse Zeit ausziehen müssten.
Damit hatten sie jedoch keinen Erfolg. Die Schlichtungsbehörde hielt die Kündigung für gerechtfertigt, da die geplante Sanierung im bewohnten Haus nicht möglich wäre. Statt der 13 Monate, die ihnen der Vermieter zunächst zugestanden hatte, einigten sich die Parteien auf eine Erstreckung von 27 Monaten.
Nun war es also endgültig: Alle Mieter:innen müssten bis spätestens März 2024 ausziehen. Die Suche nach einer neuen Wohnung ging weiter. «Ein Jahr lang war die Wohnungssuche fester Bestandteil meines Lebens», erzählt Steffi. Jeden Abend schrieb sie Bewerbungen, checkte neue Anzeigen.
Doch sie bekam Absage um Absage – viele Bewerbungen wurden gar nicht beantwortet, und das, obwohl die alleinstehende Ärztin gut verdient und weder Kinder noch Haustiere hat. «Die Wohnungssuche war enorm aufwendig und zermürbend», sagt sie. Ihr altes Zuhause vermisst sie, vor allem die enge Hausgemeinschaft. Auch heute noch ertappt sie sich manchmal auf Wohnungsplattformen, aus Gewohnheit, wie sie sagt.
Leere Versprechen
Bis auf Peter, der seit 1994 im Haus am Idaplatz wohnt, und einen älteren Mann, der seinen Auszug gemäss den ehemaligen Bewohner:innen so lange wie möglich hinauszögert, in der Hoffnung, vorher zu sterben, sind alle ausgezogen. Für sie hat ein neues Kapitel begonnen, doch mit dem alten konnten sie bis heute nicht abschliessen. Denn seit der Schlichtung, die anderthalb Jahre zurückliegt, ist am Haus nichts passiert. Weder wurden die Bäder und die Küchen renoviert, noch wurde das Haus wie geplant isoliert.
Im März läuft die Frist ab, spätestens dann müsste der Eigentümer mit dem Umbau beginnen, doch bisher liegt keine Baubewilligung vor. Zwischen der Einreichung eines Baugesuches und dem tatsächlichen Umbau vergeht im Durchschnitt ein Jahr. Der Vermieter versicherte auf Anfrage, dass die Umbauten im April starten würden. Zum konkreten Vorhaben schreibt der Vermieter, dass «nach 40 Jahren umfangreiche Renovationen» vorgesehen seien.
So würden die Bäder und Küchen, sowie alle Sanitär- und Elektroleitungen erneuert, Brandschutz und Absturzsicherungen der Fenster und Balkone an den neuen Standard angepasst, zudem werde das Dachgeschoss gedämmt.
Die Umbauten würden sechs bis sieben Monate dauern – im bewohnten Zustand könnten diese Sanierungen nicht effizient umgesetzt werden, heisst es weiter. Auch zum nicht vorliegenden Baugesuch äusserte sich der Vermieter. Er schreibt: «Ein Baugesuch ist tatsächlich bisher nicht gestellt, da nicht notwendig.»
Für Steffi, Helen, Peter, Denise und Mona ist das dennoch wie ein Schlag ins Gesicht. Sie fühlen sich hintergangen.
Wenn sich Sanierungspläne ändern
«Die Ungerechtigkeit ist offensichtlich, doch rechtlich haben sie kaum eine Chance, sich erfolgreich zu wehren», sagt der Jurist Peter Nideröst. Denn: Ob eine Kündigung rechtmässig sei, bemesse sich nach den Umständen zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung. So kann es laut Nideröst sein, dass der Vermieter zum Zeitpunkt der Schlichtung zwar vorhatte, das Haus zu sanieren, sich die Umstände in der Zwischenzeit aber so geändert haben, dass die Sanierungsabsicht nicht mehr besteht. Wegen der allgemeinen Teuerung, Problemen bei der Umsetzung des Vorhabens, aber auch aus privaten Gründen.
Eine gültige Sanierungskündigung setzt gemäss dem Mietrechtler zwei Tatsachen voraus: Erstens muss der Vermieter nachweisen, dass er tatsächlich eine Sanierung beabsichtigt, und zweitens muss ersichtlich sein, dass der geplante Umbau im bewohnten Zustand nur erschwert durchgeführt werden kann.
Im vorliegenden Fall, so Nideröst, hätten die Mieter:innen nur dann eine reelle Chance, die an der Schlichtungsverhandlung getroffene Erstreckungsvereinbarung in Frage zu stellen, wenn sie beweisen könnten, dass der Vermieter nie die Absicht hatte, das Haus zu sanieren.
Das sei aber praktisch unmöglich, denn dazu bräuchte es handfeste Beweise, zum Beispiel einen Schriftwechsel, in dem der Vermieter darlegt, dass er nie eine Sanierung geplant hatte. In den meisten Fällen rät der Jurist deshalb von einer Klage ab, weil die Erfolgsaussichten gering sind.
Inzwischen ist es spät geworden. In Helens Spüle stapelt sich das schmutzige Geschirr, Peter öffnet gerade eine neue Flasche Wein. Auch wenn es ihnen schwerfällt; sie müssen sich damit abfinden, dass sie alles probiert haben und trotzdem keine Chance hatten. Rechtlich gesehen stehen Helen, Steffi, Peter, Denise und Mona mit dem Rücken zur Wand.
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Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst bei «Tsüri.ch» erschienen. Autorin Noëmi Laux ist Redaktorin beim Zürcher Stadtmagazin.