KI-Jesus in Luzerner Beichtstuhl verblüfft Kirchenobere
In Luzern kreierte eine Kirche einen sprechenden Jesus mit KI, der im Beichtstuhl Rede und Antwort stand.
Eine Kirche in Luzern hat in diesem Jahr mit künstlicher Intelligenz (KI) einen sprechenden Jesus kreiert, der in einem Beichtstuhl Rede und Antwort stand. Der hübsche junge Mann mit langen Haaren und Bart war natürlich bibelfest.
Der KI-Jesus sei eine zweimonatige, experimentelle Kunstinstallation gewesen, betonen die Oberen der Peterskapelle in Luzern. Sie ging im Oktober zu Ende. Das Gotteshaus hat Wurzeln im 12. Jahrhundert und liegt gleich neben der weltberühmten Kapellbrücke.
KI-Jesus regt 60 Prozent der Nutzer religiös-spirituell an
In dem Beichtstuhl sah der Jesus-Avatar nach althergebrachtem Bildnis hinter dem Gitter zwischen Beichtendem und Seelsorger ziemlich echt aus. Die Worte der Besucher wurden aufgenommen und in einen Computer gespeist. Die Antwort wurden mit ChatGPT generiert und von dem Avatar dann geäussert.
Es sei nie um einen Ersatz für echte Beichtgespräche gegangen, sagt Marco Schmid, theologischer Mitarbeiter in der Peterskapelle. Der KI-Jesus wurde mit harten Fragen trainiert und mit dem neuen Testament gefüttert, sagt er. 60 Prozent von 290 Menschen, die nach ihrem Gespräch mit dem KI-Jesus einen Fragebogen ausfüllten, hätten sich religiös-spirituell angeregt gefühlt, sagt Schmid.
Das Projektteam wertet die rund 900 Gespräche von 18- bis 70-Jährigen nun weiter aus. Für Datenschutz hat KI-Jesus selbst gesorgt: «Er hat am Anfang erklärt, dass alles aufgenommen wird und dass man bitte keine persönlichen Informationen geben soll, das haben Besucher per Knopfdruck bestätigt.»
KI-Jesus überrascht mit tiefgründigen Antworten
«Ich war oft überrascht, wie gut die Antworten waren», sagt Schmid. Manchmal habe er gedacht: «Hey, das hätte ich auch so gesagt.» Abgedroschenes kam vom KI-Jesus aber auch.
Eine Kostprobe: «In einer Zeit der Technologie und schnellen Veränderungen bleibt der Kern unseres Glaubens unverändert: Liebe, Hoffnung und Glaube.» Dazu sagt Schmid: «Prediger sind auch oft schlecht.»
Viele Kirchen experimentieren mit KI. Zum Reformationstag 2023 bot die Evangelische Kirche im deutschen Rheinland etwa einen KI-gesteuerten Avatar von Martin Luther an, der Fragen beantwortete. Die Luzerner Version mit dem Avatar direkt in der Kirche ist aber ungewöhnlich.
KI scheitert an moderner Interpretation biblischer Texte
Mühe mit dem Luzerner Design hat Theologin Anna Puzio (30) aus Münster (D). Sie befasst sich an der Universität Twente in den Niederlanden unter anderem mit Technikethik und betont, dass sie sehr offen sei für KI im religiösen Raum. «Da wird als Jesusbild ein sehr westlich geprägter Mann mit Bart erzeugt – das ist ein Bild, das wir in der Theologie schon lange überwunden haben.»
Das gelte auch für viele Antworten, so Puzio. Die KI nutze unreflektiert Datenmaterial aus alten religiösen Schriften und erzeuge damit zum Beispiel ein überholtes Bild der Frau. «Das stärkt alte religiöse Vorstellungen, die in der Theologie längst als überholt gelten, und auch fundamentalistische Tendenzen in der Kirche.»
Texte aus der Bibel müssten immer interpretiert und in einen modernen Kontext gebracht werden. «Das hat die KI nicht geleistet.»
KI in Kirche erleichtert Seelsorge und fördert Religionsdiskussionen
Schmid bemängelt: «Er schiesst die Antworten raus wie aus einer Kanone, zack-zack, ohne Pausen.» Das fanden manche schwierig. Andererseits habe er von skeptischen Theologen gehört: «Wenn ich so ausgeglichen-empathisch wie der gesprochen hätte, hätte ich vielleicht ein besserer Seelsorger sein können.»
KI in der Kirche könne helfen, wenn Menschen sich aus Scham erst mal keinem Seelsorger anvertrauen wollen, meint Schmid. So ein Gespräch könne ein erster Schritt zur Öffnung sein.
Eine Autistin habe ihm gesagt, das Gespräch mit dem KI-Jesus sei einfacher für sie gewesen. Dies, weil sie sich schwer auf andere Menschen einlassen könne. In Schulklassen, die mit dem KI-Jesus über Videolink sprachen, sei anschliessend rege über Religion diskutiert worden.
KI-Jesus muss noch an Sprachgenauigkeit arbeiten
In der Kapelle waren immer Seelsorger zur Hand, falls jemand von der Begegnung aufgewühlt gewesen wäre. Das sei nicht passiert. Aber viele Leute hätten Gesprächsbedarf gehabt, weil sie neugierig und fasziniert waren.
Die Kunstinstallation in Luzern fand im Rahmen des 100. Geburtstags der Lukasgesellschaft statt, die Menschen aus Kunst, Architektur, Kunstgeschichte und Theologie zu Projekten im Bereich Kunst und Kirche vereint. Schmid könnte sich eine Weiterentwicklung vorstellen.
Allerdings hätte der KI-Jesus dann noch einiges zu lernen. Er konnte zwar in 100 Sprachen antworten, aber nicht in allen. «Wenn jemand schweizerdeutsch gesprochen hat, hat er auf Niederländisch oder Hebräisch geantwortet», sagt Schmid.