Kommunikations-Prof erklärt das SBB-Bashing der Politiker
Das Kritisieren der SBB wird salonfähig – nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch unter Politikern. Der Kommunikations-Experte erklärt die Gründe dafür.

Das Wichtigste in Kürze
- Politiker von rechts bis links hacken wiederholt auf der SBB rum.
- Das ist auch Kalkül, erklärt der Kommunikations-Experte.
Es tut gut. Sich gemeinsam mal so richtig über etwas aufzuregen, sich grün und blau zu ärgern, zu motzen, zu lästern, Dampf ablassen. Oft und gern gewähltes Ziel von solchen Schwarm-Klagen: die SBB. Verspätungen, Ausfälle, Störungen geschehen in zuverlässiger Regelmässigkeit – die Gründe für den Ärger sind mannigfaltig.
Nicht nur am Arbeitsplatz und im Feierabendbier bekommt die SBB ihr Fett weg. Auch Politiker haben das SBB-Bashing für sich entdeckt. Doch: Steckt dahinter Wahlkampf-technisches Kalkül?
Liebe @sbbnews @RailService Ich bin hässig. Seit einer halben Stunde steckt der Zug zwischen Olten und Bern fest. Keine weiteren Informationen. Ich will nach mehr Bern ins Bett. #holtmichhierraus #um8istsession pic.twitter.com/aYPDSilLCY
— Natalie Rickli (@NatalieRickli) March 6, 2018
Liebe @sbbnews @RailService . Warum schreibt ihr in Aarau am Perron im einen Sektor man dürfe nicht einsteigen obwohl der Zug bereit steht man einsteigen kann und im andern Sektor der Zug angeschrieben ist? pic.twitter.com/7gPzSmuM6I
— Bernhard Guhl 🇨🇭🇺🇦 (@BernhardGuhl) September 3, 2019
Es ist kein Zufall, dass sich Politiker über die SBB ärgern, bestätigt Professor Peter Stücheli-Herlach. Er forscht an der ZHAW zu angewandter Linguistik im Bereich Organisationskommunikation und Öffentlichkeit.
Er erklärt: «Es gibt eine breite Betroffenheit. Und die SBB sind ein öffentliches Unternehmen. Da gibt es eine gute Legitimation für eine öffentliche Debatte.»
Auch die Anzeigetafeln in den SBB-Wagen funktionieren nicht mehr. Missmanagement und migrationsbedingte Überlastung richten unsere einst ruhmreichen Bundesbahnen zugrunde. pic.twitter.com/DcGGKRUrBb
— Roger Köppel (@KoeppelRoger) September 1, 2019
Unhaltbare Praxis der #sbb auf dem Buckel der Reisenden! Dagegen werde ich parlamentarisch vorgehen! @fdp_ag @fdp_baden @FDP_Liberalen @AargauerZeitung @sbbnews https://t.co/dA14rEZB5g
— Thierry Burkart (@ThierryBurkart) July 3, 2019
Politiker und solche die es werden wollen zeigen mit Botschaften wie den SBB-Kritiken, dass sie profan und normalsterblich, auf Augenhöhe mit der Wählerschaft sind. «Es ist ein Merkmal unseres politischen Systems, dass Politiker kein abgeschottetes Leben führen», sagt Stücheli-Herlach. «Zudem haben die sozialen Medien ganz neue Möglichkeiten eröffnet, Alltagserlebnisse im Netzwerk zu teilen und in die eigenen Erzählungen einzubauen.»
Motzen über die SBB – Lästern schafft Gemeinsamkeit
Gemeinsamkeiten schaffen mit ihren potenziellen Wählern und sie an sich binden: das ist die hohe Kunst der Politik, so Stücheli-Herlach. Das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken wollen aber nicht nur Politiker und ihre Wählerschaft, es ist geradezu ein Grundelement menschlicher Kommunikation.
«Jede soziale Kommunikation zielt darauf ab», sagt der Linguistik-Professor. Man sollte es aber nicht darauf reduzieren. Politiker haben geradezu die Aufgabe, wach durch die Welt zu gehen und zu öffentlichen Angelegenheiten auch eine öffentliche Debatte zu führen.»
Lieber Andreas, heute 7.32 Zürich ab nach Bern sind wir wirklich wie in einer Sardinenbüchse. Viel zu wenig Wagenmaterial? @AndreasMeyer warum nur? @sbbnews pic.twitter.com/6lFuolQo6w
— Kathy Riklin, Zürich 💙💛 (@KathyRiklin) June 18, 2019
Morgens 9.02 nach Bern. Neben mir stehen noch 4 Personen . @sbbnews muss das sein? Bei allem Respekt vor Rollmaterial Problemen und co. pic.twitter.com/uER9txsX1T
— Jacqueline Badran (@JayBadran) August 27, 2019
Für Stücheli-Herlach geht es hierbei gar um die «Kernfrage der Demokratie». Doch: «Die Anforderungen sind enorm gestiegen, seitdem die Parteien an bindender Kraft verloren haben.» In sozialen Medien anhand alltäglicher Episoden die eigenen Werte zu erzählen, sei sicher eine der Methoden, mit dem Politiker Gemeinsamkeiten zu schaffen versuchen. «Über die Qualität einzelner Tweets kann man natürlich geteilter Meinung sein», fügt er an.