«Kontrolle verloren» – Bordelle in Schweizer Wohnungen boomen
Immer mehr Prostituierte arbeiten in Wohnungen, eine Betroffene sagt, die Kantone hätten die Kontrolle verloren. Doch Privatbordelle haben auch Vorteile.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Zahl der Prostituierten, die in Wohnungen arbeiten, nehmen zu.
- Eine Betroffene begründet es mit Unabhängigkeit und Selbständigkeit.
- Sie macht der Polizei und den Kantonen Vorwürfe, sie hätten die Kontrolle verloren.
Prostitution in der Schweiz verlagert sich immer mehr von öffentlichen Bordellen in Privatwohnungen. Die Hälfte der Sexarbeiterinnen ist in Wohnungen tätig. Viele sehen dies als Problem, das Netzwerk für die Rechte von Sexarbeitenden sieht aber auch Chancen. Darüber berichtet die «SRF Rundschau».
Viele Sexarbeiterinnen schalten im Internet Inserate auf. Erst nach einer Kontaktaufnahme über eine Telefonnummer wird die Adresse des Treffens herausgegeben. Und die genutzte Wohnung wird oftmals nach wenigen Tagen wieder gewechselt.
Simon Steger von der Fachgruppe Sexualdelikte der Polizei Luzern erklärt, was dabei das Problem ist: «Wir wissen nicht, welche Wohnungen benutzt werden.» Sein Kollege Roger Tschopp sagt, der Aufwand werde grösser, Frauen würden immer mehr im Untergrund arbeiten. «Wir haben es nicht mehr im Griff, wo die Sexarbeiterinnen sind.»
Tiziana arbeitet in einer Privatwohnung in Luzern als Prostituierte. «An jeder Ecke, in jedem Block, in jedem Viertel gibt es mittlerweile Wohnungen für Prostituierte.» Jedes Jahr werde es schlimmer, immer mehr Frauen kämen für die Prostitution in die Schweiz. «Alle Kantone haben die Kontrolle verloren.»
Sie forderte, dass «die Polizei ihre Arbeit macht». Denn es gebe gar nicht genug Kunden für so viele Prostituierte. Die Schuld sieht sie bei der Polizei, es sei «ausser Kontrolle».
Polizei: «Wir tun, was wir können»
Es gebe auch viel Zwangsprostitution in Privatwohnungen, sagt sie. Diese Frauen würden ihre Zimmer nie verlassen. Einmal habe sie mit einer Betroffenen gesprochen, diese habe gesagt, sie dürfe nicht sprechen, sie werde kontrolliert. Und ihre Familie werde bedroht.
Polizist Steger wehrt sich gegen die Vorwürfe: Man könne nicht sagen, dass es ausser Kontrolle sei. Man habe vieles unter Kontrolle, alles könne man aber nie kontrollieren. «Wir tun alles, was wir können.»
Tschopp sagt auch: «Menschenhandel gibt es an allen Orten, auch in klassischen Bordellen.» Wohnungsbordelle böten Zuhältern die Möglichkeit, Frauen verdeckt arbeiten zu lassen, so Steger. Für Frauen, die selbständig arbeiten wollten, seien sie aber «eine gute Sache».
Bordellbesitzer: «Hier sind die Frauen geschützt»
Die Selbständigkeit betont auch Tiziana: Sie könne empfangen, wen und wann sie wollen. «Ich bin unabhängiger.» Deshalb arbeite sie lieber in der Wohnung als im Club.
Anders sieht es Bella, die in einem klassischen Bordell arbeitet. Sie fühle sich im Club sicherer, es seien immer Leute dort, sie könne immer mit jemandem reden.
Bordellbesitzer Alfonso Coretti betont dies auch: Die Frauen seien geschützt, es sei immer Personal im Haus, auf den Zimmern gebe es Notfallknöpfe. Er stört sich vor allem an Prostituierten, die illegal in Wohnungen arbeiteten. «Es wird nicht mit gleichen Waffen gearbeitet.»
ProCoRe: «Müssen uns anpassen»
Rebecca Angelini ist die Geschäftsführerin von ProCoRe, einem Netzwerk für die Rechte von Sexarbeitenden. Auch sie sieht im isolierten Arbeiten in Privatwohnungen einen Risikofaktor. Per se seien Wohnungsbordelle aber nichts Schlechtes, sie böten mehr Selbstbestimmung und Entscheidungsmacht. Zudem verlieren so die Bordellbesitzer an Verhandlungsmacht.
Der Zugang zu den Sexarbeiterinnen werde dadurch aber zu einer Herausforderung, stimmt sie der Polizei zu. Ein weiteres Problem seien die hohen Mieten: Die Frauen hätten mehr Druck, Geld zu verdienen. Dadurch könnten sie Kunden und Praktiken weniger ablehnen.
Sie sagt aber auch: «Es ist eine Entwicklung, die stattfindet. Wir müssen das zur Kenntnis nehmen und uns anpassen.»