Leben in Mikrowohnungen bald vier Personen auf 50 m2?
In Opfikon ZH werden neue Mikrowohnungen gebaut. Die Wohnform könnte ein Lösungsansatz für die Zukunft sein – aber nur für bestimmte Gruppen.

Das Wichtigste in Kürze
- Neue Mikrowohnungen in Opfikon ZH kosten 1700 Franken und bieten 50m2 Wohnfläche.
- Experten sagen, auf so kleinem Raum zu wohnen, braucht eiserne Disziplin.
- Dass wir künftig weniger Platz zum Wohnen haben, scheint aber klar.
- Die Miete der Mikrowohnung von 1700 Franken ist verhältnismässig teuer.
In Opfikon ZH, nahe dem Flughafen Kloten, werden Mikrowohnungen gebaut. Die Wohnungen verfügen über 50 Quadratmeter Wohnfläche und bieten flexible Raumlösungen.
Die Monatsmiete beträgt stolze 1700 Franken. Spezielle Einbauten wie absenkbare und heraufklappbare Betten müssen die Mieter nach Wunsch selbst finanzieren.
Vier Personen auf 50 Quadratmetern?
Das Angebot soll sich auch an Familien richten und verspricht Wohnen ohne Komforteinbusse. Der «Tages-Anzeiger» berichtete am Montag über das Konzept.
Vier Personen auf 50 Quadratmetern – Utopie oder die Wohnform der Zukunft? Nau.ch hat sich bei Experten auf dem Immobilienmarkt umgehört.
Maciej Skoczek ist Immobilienexperte bei der UBS. Er weiss, dass wir bald weniger Platz zum Wohnen haben. «Der Trend zu kleineren Wohneinheiten wird sich in den nächsten Jahren aufgrund gesellschaftlicher Trends wie Alterung, Nachhaltigkeit oder Urbanisierung beschleunigen.»
Dennoch glaubt er, dass «Mikrowohnungen weiterhin ein Nischenmarkt bleiben und hauptsächlich in gut erschlossenen urbanen Grosszentren angeboten werden.» Zur dominanten Wohnform würden sie in absehbarer Zeit nicht.
Wohnfläche für Familien «extrem knapp»
Ins gleiche Horn bläst der Luzerner Zukunftsforscher Georges T. Roos: «Mikrowohnungen werden nicht die Wohnform der Zukunft sein, aber vielleicht ein Nischenangebot darstellen.»
Gerade für Familien sei ein Leben in einer Mikrowohnung mit Einschränkungen verbunden. Roos: «Für eine vierköpfige Familie sind 50 Quadratmeter extrem knapp.»
Man dürfe nicht vergessen, dass wir heute ausserordentlich materialintensiv leben, erst recht mit Kindern. «Es bräuchte eine eiserne Disziplin, nichts aufzubewahren und auch nicht einen grossen Kleiderschrank haben zu wollen.»
Noch deutlicher wird Donato Sconamiglio. «Ein Witz» seien Mikrowohnungen, sagt der renommierte Immobilienexperte. «Man kann doch Menschen nicht in derart kleinen ‹Ställen› halten.»
Skoczek von der UBS weist darauf hin, dass die durchschnittliche Wohnfläche pro Person in der Schweiz etwa 47 Quadratmeter beträgt. «Eine Reduzierung auf 12,5 Quadratmeter würde erhebliche Qualitätseinbussen mit sich bringen.»
Ein Mittel gegen die Wohnungsnot in Städten? Vielleicht!
Könnten Mikrowohnungen dann immerhin die Wohnungsnot in urbanen Zentren wie Zürich lindern? Jein.
Skoczek: «Gebäude mit Mikroapartments bieten auf gleicher Nutzfläche durchschnittlich mehr Wohneinheiten. Das trägt zur Verdichtung bei und kann die Wohnungsknappheit in urbanen Lagen punktuell lindern.»
Die Lösung des Problems seien sie aber nicht. Auch nicht in finanzieller Hinsicht.

Skoczek rechnet vor: «Die Miete pro Quadratmeter liegt bei Mikroapartments unseren Schätzungen zufolge etwa 40 Prozent über dem Preis auf dem herkömmlichen Mietwohnungsmarkt.»
Das bedeutet: «Normale» Wohnungen sind zwar in der Gesamtrechnung teurer. Man erhält bei klassischen Wohnungen aber immer noch wesentlich mehr Wohnfläche für den gleichen Preis als bei den neuen Mikrowohnungen.
Sconamiglio sieht in den Städten weniger ein Wohnungs- als vielmehr ein Beziehungsproblem. «In fast 50 Prozent der Wohnungen in der Stadt Zürich lebt nur eine einzige Person.» Die Menschen hätten verlernt, zusammenzuleben.
Zukunftsforscher Ross ist überzeugt, dass die Preisfrage auf dem Wohnungsmarkt künftig immer relevanter wird. «Insbesondere in den grossen, urbanen Zentren.»
Denn: «Die Bevölkerung wächst, die Ansprüche auf Wohnfläche ebenfalls, aber der bebaubare Raum in diesen Gegenden ist begrenzt. Das treibt die Preise nach oben.»
Ansprüche reduzieren: Daran führt wohl kein Weg vorbei
Roos' Lösung ist ebenso einfach wie schmerzhaft: «Die Ansprüche an die Grösse der eigenen Wohnung reduzieren.»
Das wiederum spricht für das neue Konzept der Mikrowohnungen. Vielleicht nicht wie von den Planern angedacht für Familien.
Aber für Geschäftsreisende, Expats oder Studierende könnte diese neue Wohnform gerade in Zeiten der Wohnraumknappheit durchaus interessant werden.