Mediziner warnt vor drastischer Lücke im Gesundheitswesen
Laut einem Professor könnte in zehn Jahren fast die Hälfte der Arbeitskräfte in der inneren Medizin verschwunden sein – mit verheerenden Folgen.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Professor und Hausarzt warnt vor einer drastischen Lücke im Gesundheitswesen.
- In der allgemeinen Medizin geht bis in zehn Jahren fast die Hälfte in Pension.
- Dies kann durch neue Studienabsolventen wohl nicht kompensiert werden.
«Es braucht dringend Massnahmen», sagt Professor Sven Streit besorgt. Er ist Präsident der Nachwuchsförderungskommission der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin. In einem Interview mit Tamedia warnt Streit vor einer drohenden Versorgungslücke im Gesundheitswesen.
Von den Menschen, die heute in der Allgemeinmedizin arbeiten, fielen bis in zehn Jahren 44 Prozent weg, so der Experte. Also «fast die Hälfte». Dies konnte der Professor einer Umfrage entnehmen, die er in seiner Gesellschaft durchgeführt hatte. Der grösste Teil des Personalverlustes geht auf Pensionierungen zurück.
Hausarzt Sven Streit erlebt am eigenen Leib, was dieser Personalmangel bedeuten kann. Er führe in einer ländlichen Gegend eine von drei Hausarztpraxen – inzwischen seien es nur noch zwei. «Personen, die ein Problem haben und beim Hausarzt keinen Platz mehr bekommen, grasen oft einen Spezialisten nach dem anderen ab.»
Die Folge: Oft fehlt eine klare Diagnose oder ein Behandlungsplan. «Ohne einen Allgemeinmediziner, der das betreut, bleibt nicht nur unklar, was die Ursache der Beschwerde ist. Sondern auch, was man dagegen tun kann.»
Es sei zwar möglich, die Personallücke durch Neuzugänge zu ersetzen, so der Experte. Damit gemeint sind zum einen Studienabsolventen, aber auch Fachpersonal aus dem Ausland. Aber: «Wir sehen viele Gefahren, dass es uns in der Schweiz nicht gelingt, diese grosse Lücke zu füllen.»
Studierende sind unsicher, ob sie überhaupt als Arzt arbeiten wollen
Der Pessimismus des Professors kommt unter anderem von einer kürzlich von Studierenden selbst durchgeführten Umfrage. Darin gestanden 37 Prozent, eine Tätigkeit als Ärztin oder Arzt nach Studienabschluss ernsthaft infrage zu stellen. Sven Streit hält besorgt fest: «Sollte sich dies bewahrheiten, haben wir praktisch keine Chance, die künftigen Abgänge zu ersetzen.»
Der Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland funktioniere momentan zwar gut, ergänzt der Hausarzt, sagt aber auch: «Es ist gefährlich, sich auf einen stetigen Zustrom zu verlassen und sich davon abhängig zu machen.»
Eine wichtige Massnahme gegen den Personalmangel ist für den Professor die Schaffung von 100 zusätzlichen Studienplätzen. Dazu sagt Streit: «Mit einer solchen Erhöhung hätten wir bereits 20 Allgemeininternisten pro Jahr mehr. Dies wäre auch hilfreich für andere Fachbereiche wie Psychiatrie oder Kinder- und Jugendmedizin, die ebenfalls von einem Mangel betroffen sind.»