Mutmasslicher Kiental-Mörder steht vor Gericht
In Thun steht ein Mann vor Gericht, der im Berner Kiental zwei Bekannte in eine Schlucht gestossen haben soll. Einer überlebte den Sturz, der andere nicht.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Regionalgericht Thun behandelt heute den Fall eines mutmasslichen Mörders.
- Der über 60-jährige Mann soll zwei Bekannte im Kiental in eine Schlucht gestossen haben.
- Einer der Männer überlebte und wurde verletzt von einem Autofahrer aufgefunden.
Ein heute über sechzigjähriger Mann steht seit Donnerstag in Thun vor dem Regionalgericht. Er soll 2019 zwei ihm bekannte Männer im Kiental im Berner Oberland in eine Schlucht gestossen haben. Der eine überlebte, der andere nicht.
Staatsanwältin fordert 19 Jahre Haft
Die Staatsanwaltschaft hat am Donnerstag eine Freiheitsstrafe von 19 Jahren gefordert. Der Beschuldigte stritt stets ab, etwas mit dem Tod des einen Afghanen im Mai 2019 zu tun zu haben. Am Donnerstag machte er von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch.
Die Staatsanwältin erläuterte in ihrem Plädoyer, dass der Angeklagte das nachmalige Todesopfer sehr wohl gekannt habe. Auf Mobiltelefonen seien entsprechende Daten gefunden worden, die einen Kontakt belegten. Die Indizien ergäben insgesamt ein Bild, das auf die Täterschaft des Angeklagten schliessen lasse.
Auch den afghanischen Mann, der den Sturz in die Griesschlucht im November 2019 überlebte, kannte der Angeklagte. Das räumte dieser vor Gericht am Donnerstag ein. Sie hätten mehrere Jahre eine sehr gute sexuelle Beziehung gehabt.
Das Opfer sagte nun vor dem Regionalgericht, es durchlebe den Vorfall «immer und immer wieder». Er sei mit dem heute 65-jährigen Angeklagten befreundet gewesen und habe mit ihm auch eine sexuelle Beziehung gehabt, gab er vor Gericht an. Sie hätten sich meist an etwas abgelegenen, ruhigen Orten getroffen.
Opfer hatte «Todesangst»
Am Tag des Vorfalls habe ihm sein Bekannter gesagt, er wolle noch etwas ausmessen. In der Griesschlucht angekommen, habe ihm der Mann das eine Ende eines Massbandes in die Hand gedrückt und angewiesen, sich an den Rand des Tobels zu stellen.
Plötzlich habe ihn der Bekannte geschubst. Zunächst habe er sich an einem Bäumchen festhalten können, doch sein Bekannter habe die Umklammerung gelöst und er sei mehrere Meter tief in den Bach gefallen.
Er habe Todesangst gehabt, dass er immer tiefer ins Wasser gezogen werden könnte. Schliesslich habe er sich auf einen abschüssigen Absatz retten und dort festhalten können. Er sei völlig durchnässt gewesen und habe gefroren. Einer seiner Füsse sei verletzt gewesen.
Aus Angst habe er die Nacht im Graben verbracht. Dabei sei ihm viel durch den Kopf gegangen. Am meisten habe ihn beschäftigt, wie jemand so etwas tun könne. Er sei in Afghanistan im Krieg geboren und habe im Krieg gelebt. Er sei in die Schweiz geflohen, weil er sich hier ein besseres Leben erhofft habe.
Am Morgen sei es ihm gelungen, aus der Schlucht zu klettern und ein Auto anzuhalten. Die Leute hätten ihm dann Hilfe geleistet. Diese alarmierten dann auch die Polizei.
Mutmasslicher Täter bestreitet Schubser
Der 65-Jährige mutmassliche Täter bestreitet die Vorwürfe. Der eine Mann, der den Vorfall im November 2019 überlebte, sei gestolpert und so in die Schlucht gefallen. Er habe mit dem Afghanen eine gute Beziehung sexueller Natur gehabt, sagte der Angeklagte am Montag vor Gericht.
«Wir hatten nie Streit, nie Probleme», führte er aus. Sie hätten viel zusammen unternommen. Für Sex seien sie oft an abgelegene Orte gefahren, so auch in die Griesschlucht im Kiental.
Am fraglichen Abend hätten sie Messarbeiten gemacht im Wald im Kiental. Dabei sei der junge Afghane plötzlich gestolpert und in den Bach gefallen. Er habe ihn nicht mehr gesehen und keine Hilferufe gehört.
Da sei er nach Hause gefahren, habe Abendbrot gegessen und Büroarbeiten erledigt. Hilfe habe er keine geholt, weil er annahm, dass diese ohnehin zu spät käme, sagte der Angeklagte.
An einem Baum seien schluchtseitig geringe DNA-Spuren gefunden worden, die auf das Opfer hindeuteten, hielt die Gerichtspräsidentin dem Angeklagten vor. Wenn er den Mann in den Bach gestossen hätte, hätten sich ja auch Spuren von ihm gefunden, entgegnete der Angeklagte.
Parallelen zu anderem Fall
Im Zug der Ermittlungen stiess die Polizei auf Parallelen zu einem Fall im Mai 2019. Von diesem hatte man angenommen, dass es sich um einen Unfall handelte.
Damals wurde die Leiche eines jungen Afghanen im Gornernbach im Kiental gefunden. Hinweise auf Dritteinwirkung gab es damals nach Polizeiangaben nicht.
Nun nahmen die Ermittlerinnen und Ermittler auch diesen Fall nochmals unter die Lupe. Sie fanden heraus, dass der junge Afghane und der mutmassliche Täter sich gekannt haben dürften. Kurz vor dem Todeszeitpunkt standen sie noch in Kontakt.
Gestützt auf die umfangreichen Ermittlungen erhärtete sich der Verdacht, dass der 18-jährige Afghane Opfer eines Tötungsdelikts geworden sein dürfte. Zu diesem Fall verweigerte der Angeklagte am Donnerstag die Aussagen. Er habe damit nichts zu tun, beteuerte er, auch nachdem ihm das Gericht vorgehalten hatte, dass er mit dem nachmaligen Todesopfer in telefonischem und SMS-Kontakt gestanden hatte.
Auch Sex mit Minderjährigen vorgeworfen
Im Weiteren werden dem Angeklagten zahlreiche Sexualdelikte mit Kindern und Minderjährigen gegen Entgelt vorgeworfen. Der Mann gab zu, dass er mit jungen Männern Sex gegen Entgelt hatte. In manchen der ihm vorgeworfenen Fällen bestritt er aber, dass seine Sexpartner noch minderjährig waren. In anderen Fällen gab er an, die jungen Männer hätten ihm gesagt, sie seien 18 Jahre alt. Alle hätten gewusst, worauf sie sich einliessen: «Sex gegen Geld».
Die meisten seiner mutmasslichen Opfer stammten aus dem afghanischen Raum. Dort sei Sex unter Männern an der Tagesordnung, gab der Angeklagte vor Gericht zu Protokoll. Er habe die jungen Männer bisweilen an Bahnhöfen gesehen und angesprochen.
Der Angeklagte befindet sich im vorzeitigen Strafvollzug. Bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils gilt die Unschuldsvermutung.