Nemo: Darum triggert Non-Binarität so stark
Nemo steht nicht nur zur Non-Binarität, sondern wird auch politisch. Das triggert manche stark. Eine Expertin klärt über die starken Reaktionen auf.
Das Wichtigste in Kürze
- Nemos Sieg hat eine Debatte über Non-Binarität entfacht.
- Eine Welle an Unverständnis bis hin zu Hass überrollt das Bieler Musiktalent.
- Eine Expertin erklärt, warum Nemo gewisse Personen so stark triggert.
Hell erleuchtet ein neuer Stern den Schweizer Musikhimmel. Es ist der des Bieler Musiktalents Nemo. Nemo hat den Eurovision Song Contest sensationell gewonnen. Es ist der erste Sieg für die Schweiz beim prestigeträchtigen Musikwettbewerb seit 36 Jahren.
Nemo polarisiert, dominiert seit dem die Schlagzeilen – und dies nicht nur wegen der Musik. Diskutiert wird über andere Dinge, vor allem über Nemos Non-Binarität. Das Musiktalent identifiziert sich weder als Mann, noch als Frau.
Die Reaktionen: Auf Social Media schweben Nemo viel Unverständnis bis Hass entgegen.
Warum triggert die Non-Binarität so stark? Antonia Velicu vom soziologischen Institut der Universität Zürich ordnet die Reaktionen gegenüber Nau.ch ein.
Sie sagt: «Wenn man sich provoziert fühlt, liegt das in der Regel daran, dass man die andere Person nicht wirklich kennt.» Oder dass man sie nicht verstehe. Stattdessen lasse man sich von den eigenen Vorurteilen und verzerrten Wahrnehmungen beeinflussen.
Das könne durch zwei sozialpsychologische Mechanismen erklärt werden: durch den Confirmation Bias und die In-Group/Out-Group-Dynamiken.
Sie erklärt: «Comfirmation Bias bezieht sich auf die Tendenz, Informationen so zu interpretieren, dass sie die eigenen Vorurteile und bestehenden Überzeugungen bestätigen.»
Nemo kratzt an «Normalitäten»
Die «In-Group» sei die Gruppe, der man selbst angehört. Die «Out-Group» jene, der man nicht angehört. Velicu erklärt: «Menschen neigen dazu, ihre eigene Gruppe (In-Group) positiver zu bewerten und sich mit ihr stärker zu identifizieren. Während sie die andere Gruppe (Out-Group) negativer sehen und ihr gegenüber voreingenommen sein können.»
Laut der Expertin gebe es mehrere Gründe, wieso Nemo von einer «lauten Minderheit» als triggerend wahrgenommen wird: «Verstoss gegen etwas, was als ‹normal› wahrgenommen wird. Aber auch die Konfrontation mit etwas, was vermeintlich neu ist.»
Nemo fordert dritten Geschlechtseintrag
Velicu verweist dabei darauf, dass Nemo die gestiegene Aufmerksamkeit nutze, um sich politisch für die Akzeptanz nicht-binärer Menschen einzusetzen. So fordert Nemo insbesondere, einen dritten Geschlechtseintrag neben «männlich» und «weiblich» zu ermöglichen. «Dabei geht es nicht um Sonderrechte, sondern darum, die gleichen Rechte zu haben, wie alle anderen auch.»
Durch Nemo werden bestimmte Vorstellungen von «Normalitäten», sprich das Gewohnte, in Frage gestellt. «Wir sind aufgewachsen mit einem binärem Geschlechtsverständnis, also dem Wissen, dass es in der Biologie genau zwei Geschlechter gibt.» Schliesslich habe es so ja auch in den Schulbüchern gestanden.
Doch: Historisch und kulturell haben jedoch viele Gesellschaften mehr als zwei Geschlechter anerkannt. Die Wissenschaft forsche seit über 100 Jahren an diesem Thema, verweist die Expertin.
Die Konfrontation mit vermeintlich neuen Konzepten könne Unsicherheiten und Ängste hervorrufen. «Zum Beispiel die Unsicherheit, welche Pronomen nun verwendet werden sollen und die Angst davor, etwas falsch zu machen.»
Non-Binarität führt zu Unsicherheiten und Verletzlichkeit
Das einzugestehen, mache verletzlich. «Man zeigt dadurch einen Teil der eigenen Weltvorstellung und gleichzeitig gibt man zu, dass man etwas nicht weiss.» Insofern sei es nicht verwunderlich, dass einige stark reagieren und sich über das Neue erst mal lächerlich machen.
«Dies ist jedoch absolut keine Legimitation zu Hass und Gewalt», stellt die Soziologin klar. «Eine Überkompensation durch Aggression ist eine bekannte psychologische Abwehrreaktion», erklärt sie. «Um wahrgenommene Schwächen oder Minderwertigkeitsgefühle zu überdecken.»
Doch wie kann dem entgegengewirkt werden? Information und Austausch seien der Schlüssel, um sich an die Non-Binarität zu gewöhnen. «So wie wir uns daran gewöhnt haben, Anglizismen im Deutschen zu verwenden.»