Non-binäre wie Nemo spalten die LGBT-Szene
Nemo ist non-binär – identifiziert sich also nicht als Mann oder Frau. Für konservative Kreise unverständlich. Auch in der LGBT-Szene haben einige Mühe damit.
Das Wichtigste in Kürze
- Nemo hat den ESC-Sieg geholt – und damit das Thema Nonbinarität in den Fokus gerückt.
- Einige haben Mühe, das Konzept zu verstehen oder zu akzeptieren. Auch in der LGBT-Szene.
- Dennoch betonen Schwule und Lesben, dass die meisten hinter Menschen wie Nemo stehen.
Gesanglich sorgt Nemo (24) für Begeisterung, politisch für Kontroversen. Im Fokus: Die Geschlechtsidentität des Musiktalents.
Nemo ist non-binär, identifiziert sich also sozial weder als Mann noch als Frau. Nemo möchte nicht als «sie» oder «er» bezeichnet werden, sondern ohne Pronomen. Oder im Englischen mit «they/them». Die Bieler ESC-Sensation setzt sich für die Rechte von non-binären Personen ein und fordert einen dritten Geschlechtseintrag im Pass.
Links jubelt darüber, dass das Thema durch den ESC-Sieg an Sichtbarkeit gewinnt. Für konservative Kreise dagegen ist die Vorstellung eines dritten Geschlechts ein No-Go. Derart, dass Nemo in den sozialen Medien von einer regelrechten Hasswelle überflutet wird.
Überraschend: Auch die LGBTQ+-Szene ist sich punkto drittem Geschlecht nicht ganz einig.
Gewisse Strömungen akzeptieren Non-binäre wie Nemo nicht
«Unsere Community ist vielschichtig», erklärt Sandro Niederer vom Transgender Network Switzerland bei Nau.ch. Viele in der LGBT-Gemeinschaft würden das Konzept eines non-binären Geschlechts zwar verstehen und unterstützen. Aber: «Es gibt auch Strömungen, die Schwierigkeiten haben, dies zu begreifen oder zu akzeptieren.»
Das habe meist mit traditionellen Geschlechterrollen zu tun. «Viele Argumente gegen das Konzept von nicht-binären Geschlechtern beziehen sich darauf. Einige haben Schwierigkeiten, sich von binären Denkmustern* zu lösen.»
Auch Roman Heggli von der Schwulen-Organisation Pink Cross sagt, dass die Meinungen in der Community unterschiedlich seien. «Sie ist schliesslich sehr vielfältig», erklärt er. Grundsätzlich sei die Solidarität aber gross.
Non-binär-Ablehnung durch LGBT-Szene «kann überraschend sein»
Niederer meint: «Es kann überraschend sein, wenn nicht heterosexuelle und trans Personen non-binäre Menschen nicht unterstützen. Man würde ja erwarten, dass sie aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung und Vorurteilen offener für Vielfalt sind.»
Doch diese Ablehnung müsse nichts mit der eigenen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität zu tun haben. Stattdessen könnten hier andere persönliche Überzeugungen im Spiel sein.
Alessandra Widmer von der Lesbenorganisation LOS betont: «LGBTQ+ Personen sind in der Schweiz in der Minderheit – das schweisst zusammen. Im Gegensatz zur Mehrheitsgesellschaft begegnen wir uns darum auch mit mehr Offenheit und Lernbereitschaft.»
Niederer hofft nun, dass Nemo und der ESC durch ihre öffentliche Präsenz Bewusstsein und Akzeptanz in der Schweiz fördern. «Durch die Sichtbarkeit von talentierten Personen wie Nemo können Vorurteile überwunden werden.»
Übrigens: In der Vergangenheit ist es innerhalb der Schweizer LGBT-Szene auch schon zu Zoff gekommen. Kürzlich zum Beispiel ärgerte sich der homosexuelle FDP-Politiker Hans-Peter Portmann über den Schwulenverband Pink Cross. Dieser sei von linken Ideologien unterwandert, kritisierte er. Und 2022 ärgerte sich die Lesbenorganisation LOS, dass sie keinen Wagen an der Pride in Zürich bekam.
*Die Vorstellung, dass es nur zwei Geschlechter gibt, Anmerkung d. Redaktion