Pendler ärgert sich über Gangplatz-Besetzer im Bus
Der Bus rappelvoll, etliche unbesetzte Plätze – für einen Leser «absolut daneben». Denn: Viele besetzen die Gangplätze, an den Fensterplatz kommt man schlecht.
Das Wichtigste in Kürze
- Bekannte Szene im ÖV: Zweierplätze werden von nur einer Person besetzt.
- Ein Berner bezeichnet dies als Unding, eine Knigge-Expertin hat Verständnis.
Der Bus ist brechend voll. Der Berner Michael Baumann* steigt ein und blickt umher.
Ein Bild, das er nur zu gut kennt: Etliche Fahrgäste sitzen auf dem Gangplatz der Zweiersitze, während der Fensterplatz neben ihnen leer bleibt. Oder von einem Rucksack oder einer Handtasche blockiert wird.
«Diese Sitzplatz-Egoisten treiben mich zur Weissglut!», sagt er. Das Verhalten findet er «absolut daneben und asozial».
Schliesslich komme man so kaum noch an den Platz am Fenster.
Knigge-Expertin sitzt manchmal «sogar selbst» an den Gang
Was sagt die Knigge zu den besetzten Gangplätzen?
Expertin Susanne Abplanalp sieht die Sache gelassener. Zwar findet auch sie: Der Egoismus im ÖV nimmt zu.
Zu Nau.ch sagt sie aber: «Ich persönlich finde das nicht so schlimm. Ich mache es manchmal sogar selbst – etwa, wenn ich nur eine Station fahre und gleich wieder aussteigen muss.»
Gleichzeitig betont sie: «Ich teile das aber mit, wenn jemand auf den freien Fensterplatz schaut. Oft stehe ich sogar auf, damit die Person sich bequem setzen kann.»
Das beschwichtigt Baumann nicht.
Er beobachtet nämlich: «Viele blockieren den Fensterplatz während der ganzen Fahrt. Ich frage dann zwar freundlich, ob der Platz noch frei ist – damit habe ich kein Problem. Aber ich kenne viele, die sich das gar nicht trauen.»
«Vielen ist Nähe zu Fremden unangenehm»
Den Gangplatz trotz freiem Fensterplatzes besetzen – das machen einige laut Abplanalp auch, um Distanz zu wahren.
Sie erklärt: «Die empfohlene Distanz zu anderen Menschen beträgt eine Armlänge.»
Im ÖV lasse sich das nicht einhalten. «Besonders, wenn er voll ist. Vielen ist die Nähe zu Fremden unangenehm.»
Das zeige sich besonders bei Viererplätzen. «Wer als Erster Platz nimmt, wählt meistens den Fensterplatz in Fahrtrichtung. Die nächste Person setzt sich diagonal gegenüber auf den Gangplatz – so bleibt mehr Abstand und Beinfreiheit.»
Doch dieses Verhalten sei im vollbesetzten Bus oder Zug nicht ideal.
Die Anstands-Fachfrau sagt: «Für Hinzusteigende wird es dann schwierig, den Fensterplatz zu erreichen – vor allem, wenn Taschen oder Beine den Weg blockieren.»
Typisch Schweiz?
Gibt es solche Verhaltensweisen auch in anderen Ländern? «Ja, es gibt kulturelle Unterschiede», sagt Abplanalp.
«In südlichen Ländern suchen Menschen oft die Nähe zueinander, Berührungen gehören dort zum Alltag. In nördlichen Ländern hingegen bevorzugt man mehr Distanz.»
Das Bedürfnis nach Nähe oder Abstand sei also auch kulturell geprägt.
Sollten «uns trauen, höflich zu kommunizieren»
Abplanalp hat einen Tipp für alle: «Wir sollten öfter an das Gute im Menschen glauben und uns trauen, höflich zu kommunizieren.»
Wer freundlich fragt, ob der Platz frei ist, bekomme in den meisten Fällen auch eine positive Antwort. Und ein «Danke», wenn der Gangplatz geräumt wurde, schade ebenfalls nicht.
Ein weiteres Problem: Viele starren nur aufs Handy und bemerken neue Fahrgäste nicht – oder wollen sie gar nicht bemerken.
Ihr Appell: «Hin und wieder hochschauen und anderen Platz machen – das wäre schon höflich!»
* Name von der Redaktion geändert.