Plötzlich schädlich: Warnung vor Fencheltee – Mamis verunsichert
Der jahrzehntelang angepriesene Fencheltee gerät plötzlich in Verruf. Swissmedic rät Schwangeren und Kindern vom Konsum ab. Das sorgt für grosse Verunsicherung.
Das Wichtigste in Kürze
- Bei Hebammen laufen die Handys heiss: Schwangere und frischgebackene Mamis sind verwirrt.
- Fencheltee galt bisher als perfektes Mittel gegen Bauchkrämpfe und Blähungen.
- Doch nun rät Swissmedic vom Verzehr ab. Für viele total überraschend.
«Literweise haben wir diesen Tee in der Schwangerschaft und nach der Geburt getrunken – und jetzt soll er auf einmal schädlich sein?» Viele Mütter verstehen die Welt nicht mehr. Was eben im Spital noch serviert und von der Hebamme empfohlen wurde, ist mittlerweile in Verruf geraten.
Die Rede ist von Fencheltee. Diesen hat die Schweizer Heilmittelbehörde Swissmedic ins Visier genommen und Anfang März eine neue Weisung herausgegeben: Schwangere und Stillende sollen keinen Fencheltee mehr trinken. Kinder unter vier Jahren dürfen den Tee nur dann trinken, wenn es vorher mit einer medizinischen Fachperson besprochen wurde.
Der Grund: «Im Fenchel ist natürlicherweise Estragol enthalten. Neueste Studien weisen darauf hin, dass Estragol in hohen Mengen möglicherweise schädlich für die Gesundheit sein kann», schreibt Swissmedic in einer Mitteilung.
Hebamme Doris Kolly aus Freiburg ist seit dieser Info des Heilmittelinstituts mit Erklären und Beruhigen beschäftigt. «Die Frauen sind extrem verunsichert. Ich erhalte sehr viele Anrufe.» Dabei geht es nicht nur um die Frauen selbst, sondern auch um ihre Kinder.
Denn den Müttern wurde bisher auch geraten, bei Baby-Bauchkrämpfen den Schoppen mit Fencheltee statt mit Wasser zu verdünnen. Jetzt sorgen sie sich um das Wohl ihrer Säuglinge.
«Schwierig, dass er nun unter Generalverdacht steht»
In solchen Momenten versucht Kolly zu relativieren: «Was über 40 Jahre lang das Allerweltsmittel war, kann nicht auf einmal tödlich sein», sagt sie zu Nau.ch.
Auch Barbara Stocker, Präsidentin des Schweizerischen Hebammenverbandes, sagt: «Fencheltee hat sicher seinen Dienst getan. Es ist schwierig, dass er nun unter Generalverdacht steht.» Sämtliche Mitglieder des Hebammenverbandes seien darüber informiert worden, den Tee nicht mehr zu empfehlen.
Stocker weiss von Drogerien, die bereits die Rezeptur ihrer Stilltees angepasst haben. «Ein Drogist hatte mir schon vor 26 Jahren in meiner Ausbildung zur Hebamme gesagt, dass man den Fencheltee ganz mild anmachen und nur ein bis zwei Minuten lang ziehen lassen sollte.»
Hinweise darauf, dass das Estragol in hohen Dosen Krebs oder Leberschäden verursachen könnte, gibt es schon länger. Die Europäische Arzneimittelbehörde hat im Mai 2023 erstmals vor Fencheltee gewarnt.
Ratten und Mäuse, die in Versuchen Estragol in hoher Konzentration erhalten haben, erkrankten häufiger an Leberkrebs als Nager, die kein Estragol erhielten. Über allfällige Auswirkungen auf das Erbgut sind sich Forschende aber noch nicht einig.
«Grundsätzlich wissen wir, dass Estragol im Fenchel enthalten ist, es kommt allerdings immer auf die zugeführte Dosis an», sagt Apotheker Leo Grossrubatscher von der Dr. Andres Apotheke in Zürich auf Anfrage. Estragole seien im Bitterfenchel in höherer Konzentration enthalten als im süssen Fenchel, daher sei dieser in der Schwangerschaft und bei Kindern eingesetzt worden.
«Behörde geht auf Nummer sicher»
Grossrubatscher versucht denn auch, zu beruhigen: «Wir können sagen, dass die Menge an enthaltenem Estragol bei einer Tasse Tee beziehungsweise bei gelegentlichem Gebrauch so tief ist, dass es keine zellschädigenden Effekte hat, allerdings geht die Behörde hier immer auf Nummer sicher und empfiehlt, Fenchel sicherheitshalber aufgrund von neuen Daten nicht mehr zu konsumieren.»
Ob die Dosierung in den Tees effektiv gesundheitsschädigend ist, wird nun noch weiter untersucht. Swissmedic schreibt: «Die Relevanz der bisher vorliegenden Daten für den Menschen ist noch nicht abschliessend geklärt und Gegenstand der weiteren Forschung.»
Schwangere, Stillende und Kleinkinder müssen nun auf Alternativen setzen. Apotheker Leo Grossrubatscher empfiehlt bei Verdauungsbeschwerden und Blähungen Anisfrüchte oder Kamillenblüte.