Priester fährt ins Jugendlager - trotz Anzeige wegen Übergriff
Ein Skandal erschüttert das Tessin. Ein Priester fuhr mit Jugendlichen ins Lager und ging auf Wallfahrt, obwohl schwere Vorwürfe gegen ihn vorliegen.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Priester ist am 7. August im Tessin festgenommen worden.
- Der Vorwurf lautet unter anderem sexuelle Handlungen mit Kindern.
- Trotzdem durfte der Priester vorher noch mit Jugendlichen ins Lager.
Ein schockierender Fall von mutmasslichem sexuellem Missbrauch durch einen Priester hat das Tessin erschüttert. Don Rolando L., ein 55-jähriger Priester – bekannt für seine Beliebtheit bei Jugendlichen sowie für seine Youtube-Kurzpredigten – wurde Anfang August festgenommen.
Die Vorwürfe sind schwerwiegend: Sexuelle Handlungen mit Kindern und urteilsunfähigen oder widerstandsunfähigen Personen sowie Pornografie stehen im Raum, wie «CH Media» berichtet.
Die Diözese Lugano, wo der Kaplan seine Priesterweihe erhalten hatte, machte die Verhaftung und die Vorwürfe öffentlich bekannt. Der Priester wurde vorsorglich seiner Ämter enthoben.
Mögliche Versäumnisse bei der Reaktion auf Warnungen
Bislang ist unklar, was genau passiert ist. Das Bistum Lugano berichtet jedoch von einem mutmasslichen Opfer – zum Zeitpunkt der Tat volljährig -, das sich im Februar direkt an Bischof Alain De Raemy wandte und ihm von «unangebrachten Annäherungen» erzählte.
Im April reichte diese Person nach sorgfältiger Prüfung und Begleitung durch die Expertenkommission für sexuellen Missbrauch in der Kirche eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft ein.
Die Festnahme des Priesters und der Beginn seiner Untersuchungshaft erfolgten jedoch erst im August: mehrere Monate nach der ersten Anzeige!
Dieser lange Zeitraum hat eine intensive öffentliche Debatte ausgelöst. Pikant: Don Rolando L. führte seine seelsorgerische Jugendarbeit bis zuletzt fort – war gemäss der Zeitung noch in einem Ferienlager und auf einer Velo-Wallfahrt.
Giorgio Gallusero, ehemaliger FDP-Kantonsrat und langjähriger Polizeiinspektor, äusserte in der Tageszeitung «La Regione» Unverständnis für das Timing. «Der Schutz von potenziellen Opfern muss Priorität haben», sagte er und fügte hinzu: «Ich kann nicht verstehen, dass über Monate nichts passiert ist».
Vergleich mit früherem Fall
Die Diskussion erinnert an einen ähnlichen Fall vor 20 Jahren im Tessin. Damals wurde ein Priester aus Gordola beschuldigt, Minderjährige mit anzüglichen Botschaften und pornografischen Bildern belästigt zu haben. Die Staatsanwaltschaft entschied, dem Priester eine Falle zu stellen, was jedoch später das Strafmass halbierte.
Die Diözese Lugano steht in Bezug auf sexuelle Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche unter besonderer Beobachtung.
Eine Pilotstudie der Universität Zürich aus dem Jahr 2023 zeigte auf, dass im Tessin viele Dokumente aus dem bischöflichen Archiv verschwunden oder vernichtet worden sind.
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Brauchst du Hilfe?
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