Psychologen überrannt: Was passiert mit abgewiesenen Patienten?

Rowena Goebel
Rowena Goebel

Bern,

In der zweiten Welle des Coronavirus hat sich die Nachfrage nach psychologischer Hilfe noch einmal erhöht. Viele müssen abgewiesen werden – das ist gefährlich.

Coronavirus
Die psychische Belastung der Bevölkerung in der Schweiz hat sich in der zweiten Welle des Coronavirus noch einmal verstärkt. - Universität Basel

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Nachfrage nach psychologischer Unterstützung ist laut einer Umfrage weiter gestiegen.
  • Die Mehrheit der Psychologen müssen Anfragen aus Kapazitäten-Mangel abweisen.
  • Nun fordert der Psychologie-Verband FSP den Bund zum Handeln auf.

Die psychische Belastung ist in der zweiten Welle des Coronavirus weiter gestiegen. Das zeigt eine Umfrage der psychologischen Berufsverbände der Schweiz.

Entsprechend hoch ist auch die Nachfrage nach psychologischer Unterstützung. Zwei Drittel aller befragten Psychologinnen und Psychologen geben an, regelmässig Patienten aus Kapazitätsgründen abweisen zu müssen.

Psychologen wollen Hürden für ambulante Therapien senken

Was bedeutet das für Betroffene – und was passiert mit ihnen? Philipp Thüler von der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen FSP sagt zu Nau.ch: «Im besten Fall bringen sie die Kraft auf, weiter zu suchen und finden einen geeigneten Therapieplatz.»

Die Suche könne jedoch sehr zermürbend sein. Denn gerade Menschen mit Depressionen falle es nicht leicht, sich Hilfe zu holen. Dabei sollten psychische Störungen möglichst frühzeitig behandelt werden.

Coronavirus
Immer mehr Gymi-Schüler und -Schülerinnen leiden wegen der hohen Belastung unter Depressionen, Schulvermeidung oder Essstörungen. - dpa

«Wenn sie über längere Zeit unbehandelt bleiben, können sie sich verschlimmern. Am Ende ist möglicherweise eine stationäre Behandlung nötig, was viel kostenintensiver ist, da auch noch Arbeitsausfälle hinzukommen.»

Die FSP fordert deshalb: «Die Hürden, um einen ambulanten Psychotherapieplatz zu finden, der von der Grundversicherung finanziert wird, müssen unbedingt gesenkt werden.»

Frühzeitige Behandlung könnte Millionen sparen

Mit frühzeitig erfolgten Behandlungen könnten laut Thüler Einsparungen von jährlich rund 500 Millionen Franken erzielt werden. In den Unternehmen könnten so Produktionsausfälle wegen Krankheitsabsenzen vermindert werden.

In der Grundversicherung könnte Geld durch weniger stationäre Behandlungen gespart werden. Zum Schluss würden auch die Sozialversicherungen profitieren: Durch frühzeitige Behandlung kann Arbeitslosigkeit und Invalidität vermieden werden.

Psychische Probleme wegen Coronavirus: «Was gemacht wird, reicht nicht!»

Die Umfrage lässt erschliessen, dass die erhöhte Nachfrage nach psychologischer Hilfe direkt mit dem Coronavirus zusammenhängt. Philipp Thüler bestätigt: «Das haben schon verschiedene Studien gezeigt.» Es sei klar, dass die Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie der psychischen Gesundheit insgesamt eher schaden würden. «Auch der Bund hat das erkannt und hat reagiert.»

Sollte der Bund mehr tun, um psychologische Hilfe zugänglicher zu machen?

So habe er beispielsweise Tipps zum Erhalt der psychischen Gesundheit zusammengestellt. «Er verweist auch auf niederschwellige Hilfsangebote wie die Dargebotene Hand. Aus unserer Sicht reicht das nicht.»

Schon vor dem Coronavirus habe es Lücken in der Versorgung mit ambulanten Psychotherapieplätzen, die von der Grundversicherung finanziert werden, gegeben. Die FSP verlangt deshalb die Einführung eines Anordnungsmodells für die psychologische Psychotherapie. «So kann die Zahl der verfügbaren Plätze erhöht werden.»

Heute werden ambulante Psychotherapien nur dann von der Grundversicherung bezahlt, wenn sie ein Psychiater durchführt. Auch möglich ist die Behandlung durch eine bei einem Arzt angestellte Psychotherapeutin. Das Anordnungsmodell dagegen sieht vor, dass die Grundversicherung auch Therapien durch unabhängige Psychologen bezahlt. Dies, sofern sie auf Anordnung eines Arztes oder einer Ärztin erfolgen.

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Brauchen Sie Hilfe?

Sind Sie selbst depressiv oder haben Sie Selbstmordgedanken? Dann kontaktieren Sie bitte umgehend die Dargebotene Hand (www.143.ch).

Unter der kostenlosen Hotline 143 erhalten Sie anonym und rund um die Uhr Hilfe. Die Berater können Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen. Auch eine Kontaktaufnahme über einen Einzelchat oder anonyme Beratung via E-Mail ist möglich.

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