Schulkinder werden im Wald ausgesetzt – das bringts
In den Niederlanden werden Schüler in Lagern traditionellerweise «ausgesetzt». Auch der «Tatort» nahm das sogenannte Dropping auf. Eine Expertin ordnet ein.

Das Wichtigste in Kürze
- Die Krimi-Serie «Tatort» nahm die niederländische Tradition des Droppings auf.
- Eine Niederländerin erzählt gegenüber Nau.ch, wie das genau funktioniert.
- Als «Härtetest» sei das Aussetzen von Kindern aber nicht sinnvoll, sagt eine Psychologin.
Pfadi, Waldspielgruppe oder eine einfache Schulreise im Freien: Es gibt viele Möglichkeiten, wie sich Kinder mit der Natur vertraut machen können.
In einer kürzlich ausgestrahlten «Tatort»-Folge wurde nun eine besonders radikale Methode thematisiert – das sogenannte Dropping. Das Konzept: Die Kinder werden im Wald ausgesetzt und sollen mit wenigen Hilfsmitteln den Weg nach Hause finden.
Niederländer werden in Schullagern «gedroppt»
Natürlich wurde die Thematik im TV-Krimi etwas überspitzt dargestellt und mit Mord und Totschlag angereichert. Dennoch ist nicht alles frei erfunden. Denn in den Niederlanden gibt es diese Dropping-Tradition wirklich.
Eine Niederländerin erzählt gegenüber Nau.ch, wie das in der Regel abläuft. Und zwar findet dieses «Aussetzen» meist im Rahmen von Schullagern statt.
In kleineren Gruppen werden die Schülerinnen und Schüler mit verbundenen Augen irgendwo auf ein Feld oder in einen Wald gebracht. Ziel sei es dann, den Weg zur Unterkunft zurückzufinden – notabene mitten in der Nacht!
Was zunächst gefährlich klingt, sei aber eine «spassige Aktivität», betont die Niederländerin. Es sei immer ein Erwachsener mit einem Handy bei der Gruppe, der, falls nötig, eingreifen kann.
Doch nicht nur in Schulen gibt es dieses Dropping. Es gibt auch Anbieter, die entsprechende Events organisieren, wo man sich als Gruppe aussetzen lassen kann. Das Konzept erinnert ein bisschen an einen «Escape-Room», einfach halt in der Natur.
Man könnte jetzt argumentieren, dass Kinder im Rahmen eines Droppings viel lernen. Gerade in der digitalisierten Welt wäre es doch wünschenswert, wenn man wieder mehr natürliche Erfahrungen macht. Doch würde es die Entwicklung eines Menschen tatsächlich fördern, wenn er ausgesetzt wird?
Pfadi als sichere Form des Droppings
Nein, sagt Psychologin Simone Munsch von der Universität Freiburg: «Ein solches Dropping kann von unnötig und unnütz bis schädlich und traumatisch sein.» Dies, wenn es «unbegleitet oder als Härteprüfung ohne spielerisches Heranführen» geschehe.
Sprich: In der begleiteten Form, wie von den niederländischen Schulen praktiziert, kann es durchaus noch Sinn machen. In einer radikaleren Form wäre es hingegen eher gefährlich.

Das niederländische Dropping-Konzept findet man indes in abgeschwächter Form auch in der Schweiz. Beispielsweise spielen hierzulande Pfadfinder-Organisationen eine wichtige Rolle.
Munsch sagt dazu: «Die Kinder und Jugendlichen werden in der Pfadi an die Selbstorganisation herangeführt und darin geschult.» Auf diese Weise kann der Nachwuchs ebenfalls selbstständiger werden und Erfahrungen machen.
Diese «geleitete Erfahrung» sei denn auch der grosse Unterschied zu einem tatsächlichen Aussetzen. Die Leiterinnen und Leiter müssen nämlich vorher das Gebiet der Übung erkunden und die Sicherheit garantieren können.
Psychologin: Ganzes Leben ist «Dropping-Erfahrung»
Dem Argument der digitalisierten Gesellschaft entgegnet Munsch zudem: «Es ist heute ebenso wichtig, sich sicher in digitalen Tools zu bewegen wie im Wald.» Kinder müssen laut der Expertin genauso Erfahrungen in der digitalen wie in der realen Welt machen.
Dass Erwachsenen ein Dropping guttun würde, glaubt Munsch ebenfalls nicht. Ihr Fazit: «Das Leben ist doch eigentlich eine ‹Dropping-Erfahrung›. Es ist nicht alles planbar und wir sind im Alltag ausreichend gefordert.»