Schweden stoppt Digitalisierung – und die Schweiz?
Schweden will den Einsatz digitaler Medien an Schulen deutlich zurückfahren. Politiker und Lehrer erklären, wie sie die Situation in der Schweiz einschätzen.
Das Wichtigste in Kürze
- An schwedischen Schulen sollen Stift und Papier wieder wichtiger werden.
- Schweizer Politiker sprechen sich derweil für den gezielten Einsatz digitaler Mittel aus.
- Auch der Lehrerverband betont: Wichtig ist ein ausgewogenes Modell.
Digitale Hilfsmittel sind aus der heutigen Zeit nicht wegzudenken. Fast überall kommen Handys, Laptops oder Tablets zum Einsatz. Auch an vielen Schulen ist das nicht anders.
Schweden rudert nun aber zurück. Im kommenden Jahr soll ein neuer Lehrplan in Kraft treten. Das skandinavische Land will die Schüler damit wieder vermehrt zu Stift und Papier bringen.
Grund: Es habe sich gezeigt, dass die Digitalisierung auch negative Auswirkungen habe, begründet man die Bremse im Norden. Beispielsweise erhöhe sich bei den Schülern das Risiko von Ablenkungen. Daher folgt jetzt eine Art Digitalisierungsstopp.
Klar ist: Die Digitalisierung an den Schulen ist in der Schweiz ebenfalls ein wichtiges und auch ein durchaus umstrittenes Thema.
Erst vor wenigen Tagen sorgte die oberste Bildungsdirektorin Silvia Steiner für Aufsehen. Sie sagte: «Persönlich wäre ich für ein Handyverbot. Ich sehe nicht ein, warum es im Unterricht oder auf dem Pausenplatz ein Handy braucht.»
Digitalisierung geht in der Schweiz weniger weit als in Schweden
Die Ausgangslage im Alpenland ist jedoch etwas anders als diejenige am Polarkreis. Gegenüber Nau.ch erklären mehrere Bildungsdirektionen, dass die aktuelle Situation hierzulande nicht mit derjenigen in Schweden vergleichbar ist.
Andreas Walter vom Volksschulamt Solothurn sagt beispielsweise: «Der Unterricht im Kanton Solothurn ist – anders als in Schweden – analog.» Digitale Medien würden lediglich zum Einsatz kommen, wenn sie einen Mehrwert darstellen. Deren Einsatz werde ab der 3. Klasse empfohlen – die Geräte sind Teil des Schulmaterials.
Ähnlich klingt es im Kanton Aargau. Simone Strub Larcher vom dortigen Departement Bildung, Kultur und Sport sagt: «Anders als in skandinavischen Ländern sind die Schulen im Kanton Aargau nicht vollständig digitalisiert. So werden bei uns nach wie vor Lesen, Schreiben und Rechnen weitgehend analog erworben.»
Auch in Bern reflektiere man stetig, ob und wie digitale Hilfsmittel sinnvoll im Unterricht eingesetzt werden können. Wie Christoph Schelhammer erklärt, sei die Anschaffung der Geräte in den Volksschulen Sache der Gemeinden. Auf Sek-II-Stufe beschaffen die Jugendlichen das Material dann grundsätzlich selbst.
Wichtig ist auch zu erwähnen, dass letztlich die einzelnen Schulen entscheiden, wie die Digitalisierung im Detail geschieht.
Politiker und Lehrer nehmen gegenüber Nau.ch Stellung und erklären, inwiefern aus ihrer Sicht der Einsatz der Technologien sinnvoll ist.
Mitte-Nationalrätin Durrer: Rein digitaler Unterricht kommt nicht gut an
Die Nidwaldner Mitte-Nationalrätin Regina Durrer, selbst Berufsfachschullehrerin, findet es wichtig, zwischen den Altersklassen zu unterscheiden.
«In den ersten vier Primarschuljahren wäre ich sehr zurückhaltend mit dem Einsatz digitaler Medien», so die Politikerin gegenüber Nau.ch. Bis zur zweiten Klasse würde sie sogar ganz auf den Einsatz von Tablets, Handys und Co. verzichten.
Ab der fünften Klasse könne für gezielte Unterrichtsinhalte ein Laptop zum Einsatz kommen. Ab der Oberstufe brauche es laut Durrer, die Mitglied der Bildungskommission des Nationalrats ist, dann «einen guten Mix».
Weiter sagt Durrer: «Dass Handys im Unterricht normalerweise nichts verloren haben, unterstütze ich. Auch sollte sichergestellt sein, dass alle Lehrmittel auf Wunsch auch auf Papier vorhanden sind.» Bei ihnen an der Berufsfachschule werden die Handys zu Beginn einer Lektion vermehrt eingesammelt.
Sowohl Lehrpersonen als auch Lernende würden den rein digitalen Unterricht kritisch sehen, so Durrer. «Viele Lernende sagen, dass sie mit Papierunterlagen besser arbeiten können. Und die Lehrpersonen sehen schneller, ob die Lernenden arbeiten, wenn sie sich nicht hinter ihren Bildschirmen ‹verstecken› können.»
SP-Nationalrat Aebischer: Geräte «nur sehr gezielt» einsetzen
Laut Matthias Aebischer gibt es auch in der Schweiz Herausforderungen mit digitalen Medien an den Schulen. «Mir ist aufgefallen, dass einige Schulen den Gebrauch der elektronischen Geräte kaum kontrollieren. Das ist nicht gut und muss man ändern», sagt er.
Den Begriff «Digitalisierungsstopp» findet der SP-Nationalrat und ausgebildete Lehrer etwas dramatisch. Er sagt jedoch: «Dass die elektronischen Geräte in der Schule nur sehr gezielt eingesetzt werden, begrüsse ich aber natürlich sehr.»
Die Lehrkraft müsse immer überlegen, ob ein Einsatz zielführend sei. Für Aebischer, auch Mitglied der nationalrätlichen Bildungskommission, ist klar: «Elektronische Geräte als Zeitvertrieb haben im Unterricht nichts zu suchen.»
Lehrpersonenverband: Digitalisierungsstopp «nicht sinnvoll»
Ganz auf die neuen Hilfsmittel verzichten, kommt für den Schweizer Lehrpersonenverband LCH nicht infrage. Beat A. Schwendimann, Leiter Pädagogik, sagt gegenüber Nau.ch: «Ein genereller Digitalisierungsstopp, wie er in Schweden diskutiert wird, ist für Schweizer Schulen nicht sinnvoll.»
Stattdessen sollen die digitalen Medien «ausgewogen und reflektiert» im Unterricht eingesetzt werden. «Beide Ansätze – analog und digital – haben ihre Berechtigung und sollten sich ergänzen», so Schwendimann. Wenn man die digitalen Hilfsmittel richtig einsetze, können diese das Lernen «effektiv unterstützen».
Das Beispiel Schweden könnte auch zeigen, dass gewisse Korrekturen bei der Digitalisierung notwendig sind. Schwendimann sagt dazu: «In einigen Ländern wurde der Einsatz digitaler Medien möglicherweise zu stark forciert.»
Wichtig seien klare Regeln für den Einsatz elektronischer Geräte. Gerade wenn diese Vorgaben fehlen, sei die Gefahr von Ablenkungen besonders gross, so Schwendimann.
Das Fazit: Die Schweiz war bei der Digitalisierung an den Schulen etwas zurückhaltender als Schweden. Deshalb braucht es wohl jetzt auch nicht die grossen Korrekturmassnahmen wie einen Digitalisierungsstopp. Trotzdem – da sind sich alle weitestgehend einig – muss man ständig überlegen, wann der Einsatz sinnvoll ist.