Schweizer Detailhändler halten trotz Kritik zum Fischlabel MSC
Das Wichtigste in Kürze
- Die Netflix-Dokumentation «Seaspiracy» schlug in den sozialen Medien hohe Wellen.
- Labels wie der Marine Stewardship Council (MSC) stehen in der Doku in keinem guten Licht.
- Trotzdem vertrauen Schweizer Detailhändler weiterhin auf die Fisch-Labels.
Vor rund einem Monat erschien die Netflix-Dokumentation «Seaspiracy» und schlug in den sozialen Medien ein wie eine Bombe. Unzählige Personen posteten Tweets mit dem passenden Hashtag oder verlinkten den Trailer in ihrer Insta-Story. Der Tenor: In Zukunft gänzlich auf Fisch verzichten!
Darauf zielt die Doku ab: Dem Zuschauer die Augen über die Grossfischerei zu öffnen und ihn dazu zu bringen, seinen Fischkonsum radikal zu überdenken. Filmemacher Ali Tabrizi liefert innerhalb von 90 Minuten eindrückliche Argumente, die zum Umdenken animieren.
Wenn die Menschheit mit ihrem Fischkonsum so weitermache wie bisher, würden die Ozeane bis spätestens 2048 leergefischt sein. «Die Menschheit kann mit einem toten Meer nicht überleben», so Cyrill Gutsch, Gründer von Parley for the Oceans, in der Doku.
Haben Sie die Netflix-Dokumentation «Seaspiracy» gesehen?
Labels wie MSC gaukeln Nachhaltigkeit vor
Auch Labels wie der Marine Stewardship Council (MSC) stehen in «Seaspiracy» in keinem guten Licht da. Vielen sollte das blaue Logo bekannt sein, es findet sich auf 772 Fischprodukten der Schweizer Detailhändler. Das Siegel garantiert den Konsumenten Produkte aus «nachhaltiger Fischerei» – doch die Phrase bröckelt unter den «Seaspiracy»-Aufdeckungen.
Zum einen kann nachhaltiger Fischfang auf hoher See nur schwer kontrolliert und somit garantiert werden. Unabhängige Begutachter, welche die Fischer begleiten und ihren Fang kontrollieren, werden teilweise bestochen oder in krassen Einzelfällen sogar über Bord geworfen.
Zum anderen hat der MSC etlichen Fischereien sein Gütesiegel aufgedrückt, die «eine Unmenge an Beifang produzieren», so Meeresschutzbiologe Callum Roberts. Der WWF, der MSC ursprünglich mitgegründet hatte, intervenierte wegen zu viel Beifang einer MSC-zertifizierten Fischerei selbst.
Und will gemeinsam mit unabhängigen Partnern Transparenz schaffen, was die Nachhaltigkeit von Fisch-Labels angeht. Wie sich auf der Webseite der Umweltschutzorganisation zeigt, kommt die geäusserte Kritik der Filmemacher nicht von irgendwoher.
Die Hauptfinanzierung von MSC stammt zu drei Viertel aus der Logo-Lizensierung. Heisst, der Händler zahlt MSC einen Betrag, um das Label nutzen zu dürfen. Diese Siegelnutzung ist freiwillig.
Doch warum drucken Schweizer Detailhändler solche Labels ab, wenn die Nachhaltigkeitsdefinition von Fischprodukten äusserst schwammig ist?
Lieber mit statt ohne Siegel
Das MSC-Label ist nichtsdestotrotz zurzeit das strengste erhältliche Wildfisch-Zertifikat auf dem Markt. Lidl Schweiz-Mediensprecherin Corina Milz sagt auf Anfrage von Nau.ch: «Obwohl MSC momentan nicht vollständig den vom WWF geforderten Nachhaltigkeits-Anforderungen entspricht, sind MSC-zertifizierte Produkte den konventionellen Produkten ohne Label klar vorzuziehen.»
Mehrere Detailhändler hätten Kundenreaktion wegen «Seaspiracy» erhalten. Coop-Mediensprecher Andrea Ruberti sagt: «Wir nehmen die Kritik an MSC ernst und sind laufend in Kontakt mit der Organisation. Grundsätzlich erachten wir MSC als glaubwürdiges Label.»
Auch Aldi sieht bei MSC Verbesserungsbedarf. Unter anderem bei der Reduktion von Beifang, der engeren Kontrolle zur Reduzierung von Überfischung und dem Schutz von Ökosystemen. «Solange wir nachvollziehen können, dass der MSC die berechtigte Kritik ernst nimmt und effektiv an Verbesserungen arbeitet, stehen wir weiterhin hinter dem Siegel», erklärt Mediensprecherin Vanessa Senn auf Anfrage.
Bestrebungen für regionalen Fischfang
«Die meisten in der Schweiz konsumierten Fischarten sind im Meer heimisch, und nicht im Süsswasser», so Migros-Mediensprecherin Christina Frank. Wo möglich bietet die grösste Schweizer Detailhändlerin Fische aus Schweizer Wildfang und Zuchten an. Zurzeit prüfe die Migros, ihre neue Nachhaltigkeitsbewertung auch auf Fischprodukten einzuführen.
Diesen Bestrebungen folgt auch Coop, wie Ruberti erklärt: «Wir arbeiten bereits seit über 20 Jahren mit verschiedenen Schweizer Zuchtbetrieben zusammen.» Coop biete zudem das grösste Sortiment an Fisch und Krustentieren aus Schweizer Zucht an.