Seit 2020 werden immer mehr ADHS-Medikamente verschrieben

Antun Boskovic
Antun Boskovic

Bern,

Seit 2020 nimmt die Anzahl an verschriebenen ADHS-Medikamenten jährlich um 15 bis 18 Prozent zu. Laut einer Ärztin könne von Überdiagnosen aber keine Rede sein.

ADHS Ritalin
Eine Packung des Medikaments Ritalin des Herstellers Novartis steht auf einem Tisch, an dem ein zehnjähriger Junge seine Hausaufgaben erledigt. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Bis 2020 nahm die Anzahl verschriebener ADHS-Medikamente um weniger als 10 % pro Jahr zu.
  • Seither hat der jährliche Anstieg deutlich zugenommen, weil aufgeholt wird.
  • Vor allem Mädchen und Frauen würden laut einer Ärztin diesbezüglich aufholen.

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ADHS wird dadurch charakterisiert, dass Symptome vor dem zwölften Lebensjahr eintreten. Zudem beginnt eine Beeinträchtigung durch die Symptome vor dem 18. Lebensjahr.

So ist es im Klassifikationssystem für psychische Störungen DSM-5 beschrieben. Zwischen den Geschlechtern unterschieden wird dabei nicht. Doch Letzteres war nicht immer klar.

Das zeigt sich auch an den Zahlen der verschriebenen ADHS-Medikamente wie Ritalin. Bis 2020 lag laut Zahlen des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan) der jährliche Anstieg verschriebener ADHS-Medis jeweils unter zehn Prozent. Seither liegt dieser zwischen 15 und 18 Prozent.

«Wird nicht überdiagnostiziert»

«Es wird nicht überdiagnostiziert, sondern aufgeholt», erklärt Eveline Breidenstein, Hausärztin und Vorstandsmitglied der Schweizer Fachgesellschaft ADHS gegenüber «CH Media». Grund dafür sei unter anderem, dass die Gesellschaft diesbezüglich besser aufgeklärt sei.

Kennst du die Symptome von ADHS?

«Das ermöglicht Menschen, die vor ein paar Jahren noch unter dem Radar geblieben wären, eine Erklärung und vor allem Unterstützung zu erhalten.» Das zeigt sich vor allem bei der Verschreibung an Mädchen und Frauen.

Von 2015 bis 2023 sind die verschriebenen standardisierten ADHS-Medikamente-Tagesdosen pro 1000 Einwohner und Tag bei Mädchen um 84 Prozent gestiegen. Der Anstieg bei Frauen liegt sogar bei 170 Prozent, während er bei Jungs mit 45 Prozent vergleichsweise niedrig ausfällt.

Dennoch werden immer noch am meisten Medikamente an Jungs verschrieben. Laut den Obsan-Zahlen wurden ihnen im Jahr 2023 pro 1000 Einwohner und Tag 14,4 standardisierte Tagesdosen verabreicht. Das sind zweieinhalbmal so viele wie bei Mädchen.

Erst im Erwachsenenalter gleichen sich die Zahlen zwischen den beiden Geschlechtern an. Grund dafür dürfte sein, dass Mädchen mit ADHS weniger auffallen als Jungs mit ADHS.

Mädchen mit ADHS fallen weniger auf

Während Buben mit ADHS etwa Wutausbrüche haben und nicht still sitzen können, wirken Mädchen mit ADHS eher verträumt und vergesslich. Sie versuchen sich dann meist, mit verschiedenen Bewältigungsstrategien selbst zu helfen.

Laut Breidenstein würde das meistens nicht sehr lange gut gehen. Sie seien beim Wegziehen von zu Hause oder bei Studiumsbeginn überfordert, würden sich im Chaos verlieren und dann Hilfe suche. «Die Diagnose erhalten viele Frauen oft erst mit einem Erschöpfungszustand und nicht selten erst mit Dreissig», sagt die Ärztin.

Früher sei man zudem davon ausgegangen, dass ADHS im Alter von sich aus verschwinde. Dass dem nicht so ist, zeigt auch die Obsan-Statistik: Erwachsenen wurden 2023 2,7-mal mehr ADHS-Medis verschrieben als noch 2015. Bei Kindern liegt der Anstieg bei 1,7 Prozent.

Mehr Medikamente auch wegen Leistungsdruck

Laut Breidenstein habe dies auch mit dem Leistungsdruck der Gesellschaft zu tun. Der Alltag sei schneller und erfordere viel mehr Flexibilität. «Menschen, die es früher ohne medikamentöse Unterstützung durch den Tag geschafft haben, können das vielfach nicht mehr», erklärt sie.

Wurde bei dir ADHS diagnostiziert?

Doch für viele Betroffene ist es gar nicht einfach, an ADHS-Medikamente zu kommen. Einerseits seien die Wartelisten für Abklärungen lang, andererseits würden viele Fachpersonen keine neuen Patientinnen und Patienten aufnehmen.

Hinzu komme, dass Rezepte für ADHS-Medikament alle drei Monate neu ausgeschrieben werden müssten. «Ich muss für keine anderen Medikamente so häufig Krankenkassen-Berichte schreiben wie für ADHS-Medikamente», sagt Breidenstein.

Mehr zum Thema:

Kommentare

User #2598 (nicht angemeldet)

Die ganze Lobby verdient viel Geld mit diesen Medikamenten, auch Ärzte in Kantonen, wo sie Medikamente direkt aushändigen dürfen.

User #2841 (nicht angemeldet)

Der Kanton Luzern will weitere Millionen in die Schule investieren. Pädagogen und Psychologen freuen sich.

Weiterlesen

Ein Kind macht seine Hausaufgaben.
17 Interaktionen
Das Unispital in Genf.
ADHS kreativ Verhaltensstörung Symptome
6 Interaktionen
zVg

Mehr aus Stadt Bern