So absurd wollen Influencer Schlaf optimieren
Mit dem «Sleepmaxxing»-Hype kursieren die bizarrsten Tipps zum Verbessern des Schlafs. Der Trend kann aber zur Negativspirale werden, warnt ein Experte.
Das Wichtigste in Kürze
- Beim sogenannten «Sleepmaxxing»-Trend geht es darum, seinen Schlaf zu verbessern.
- Gute Schlafqualität ist wichtig, bestätigt auch ein Schlafmediziner.
- Ein zu grosser Fokus auf Optimierung kann jedoch zu Schlaf-Stress führen.
- Ausserdem sind nicht alle kursierenden – teils bizarren – Tipps tatsächlich wirkungsvoll.
Schlaf ist wichtig: Das ist wohl allen bewusst. Durch einen guten und langen Schlaf fühlen wir uns am nächsten Morgen nicht nur ausgeruht. Er ist auch wichtig für unsere Gesundheit.
Philipp Valko sagt zu Nau.ch: «Schlafmangel kann das Unfallrisiko erhöhen, die psychische Gesundheit beeinflussen und Auswirkungen auf unser Essverhalten haben.» Er ist Facharzt für Neurologie im Schlafzentrum der Klinik Hirslanden in Zürich.
Schlechter Schlaf kann auch negative Folgen für unser Herz und unseren Blutdruck haben.
Verständlich, dass viele versuchen, ihren Schlaf zu verbessern.
Kiwis und Pflaster über den Mund
Das hat sich in den sozialen Medien zu einem regelrechten Trend entwickelt: «Sleepmaxxing». Influencer überbieten sich dabei gegenseitig mit Tipps für besseren Schlaf.
Die Empfehlungen reichen von simplen Tipps bis zu kurios-scheinenden Ansätzen – wie beispielsweise Kiwis zu essen.
Weitere Influencer-Ratschläge: Pflaster über den Mund, Rotlichtlampen, Magnesium, kalte Raumtemperatur und vieles mehr. Alles tatsächlich nützlich?
Sleepmaxxing «kann zu Schlaf-Stress führen»
«Es ist eine zweischneidige Sache», sagt Valko zum Trend. Einerseits sei ein guter Schlaf wichtig. Diesen habe man nur, wenn auch die Schlafqualität ausreichend sei.
«Bei einer qualitativen Schlafstörung kann man noch so lange im Bett liegen, man ist trotzdem nicht erholt», erklärt Valko.
Andererseits könne das ständige Streben nach Optimierung auch kontraproduktiv sein. «Wenn man perfektionistisch veranlagt ist, läuft man Gefahr, dass man das Gegenteil bewirkt», erklärt der Schlafexperte.
Es sei wichtig, dass man sich nicht zu sehr mit dem Schlaf beschäftige. «Sonst kann das zu Schlaf-Stress führen.»
Man würde dann ängstlicher, emotionaler und besorgter auf kleine Dinge reagieren. Beispielsweise, wenn man in der Nacht erwacht. «Dadurch kann sehr schnell ein Teufelskreis entstehen. Man kann dann erst recht nicht schlafen», so Valko.
Wenn man wisse, dass man einen gesunden Schlaf habe, sei Sleepmaxxing heikel.
Rotlicht «nützt nichts»
Bei Schlafproblemen könne es aber durchaus sein, dass Massnahmen aus «Sleepmaxxing»-Beiträgen weiterhelfen können. Doch nicht alle Tipps sind gleich wirksam – einige sogar überhaupt nicht.
So beispielsweise der Einsatz von Rotlichtlampen vor dem Schlafengehen. «Das nützt nichts», sagt Valko. «Es geht nicht um rotes Licht, sondern um das Vermeiden von blauem Licht», erklärt er.
Es ist laut Valko also richtig, dass Computer- und Handybildschirme am Abend gemieden werden sollten.
Denn: Blaulicht reduziert die Produktion des Schlafhormons Melatonin und hält uns daher länger wach. Rotes Licht habe hingegen keine Auswirkungen auf unseren Melatonin-Spiegel.
Und auch das Tragen einer Blaulichtbrille tagsüber ist nicht nötig, wie der Experte erklärt. Das Tageslicht sei um einiges stärker als blaues Licht – seine Wirkung kann also kaum eingeschränkt werden.
Früchte als Schlafhormon-Quelle
Weniger wissenschaftliche Beweise gibt es Valko zufolge in Bezug auf den Einfluss spezifischer Lebensmittel auf den Schlaf. So preisen Influencer beispielsweise Kiwis als Wundermittel an.
«Bei Kiwis wird gesagt, dass sie das Glückshormon Serotonin enthalten und dies den Schlaf beeinflusst», sagt Valko.
Damit sind sie nicht allein: Es gibt laut dem Experten auch noch weitere Früchte, die die Aminosäure Tryptophan oder Melatonin enthalten.
«Es kann sein, dass diese Früchte bei schlechtem Schlaf etwas helfen», räumt Valko ein. «Es sind jedoch nicht Sachen, die die Schlafmedizin empfiehlt.»
Die Forschung sei in diesem Bereich noch sehr spärlich – es seien «Beobachtungen aus der Bevölkerung».
Nahrungsergänzungsmitteln wie Magnesium spricht Valko nur wenig Wirksamkeit zu. «Bei Personen mit Beinkrämpfen, dem Unruhige-Beine-Syndrom oder bei nächtlichen Kopfschmerzen kann es nützen.»
Dann werde aber einfach per Zufall ein nicht diagnostiziertes Problem behandelt.
«Wenn keine neurologischen oder schlafmedizinischen Probleme vorliegen, dann bin ich nicht sicher, dass sich Magnesium positiv auf den Schlaf auswirkt.»
«Mouth-Taping empfehlen wir nie»
Für besonders viel Gesprächsstoff sorgt das sogenannte «Mouth-Taping» (Deutsch: «Mund-Zukleben»). Dabei raten Influencer, sich mit einem Klebeband über Nacht den Mund zuzukleben, damit man durch die Nase atmen muss.
«Wir empfehlen das nie», sagt Valko. Wenn man beispielsweise aufgrund von verengten Nasenwegen vermehrt durch den Mund atme, könne «Mouth-Taping» sogar kontraproduktiv sein.
«Bei Leuten, die durch die Nase atmen, könnte das Tape dazu führen, dass man bewusster atmet», so Valko.
Dadurch könne man möglicherweise besser einschlafen. «Das ist aber nur eine Spekulation und dazu gibt es keine wissenschaftliche Evidenz», betont der Schlafmediziner.
Richtige Schlaftemperatur und Musik
Zu Bedenken ist auch, dass viele Massnahmen auf die eigenen Bedürfnisse angepasst werden müssen. So müsse man beispielsweise individuell die richtige Schlaftemperatur finden.
Auch das Hören von Musik sei von Person zu Person unterschiedlich wirksam.
«Gewisse Klänge oder Frequenzen können sich beruhigend auf die Gehirnaktivität auswirken», so Valko. Dies sei insbesondere hilfreich, wenn man Ängste oder zu viele Gedanken habe.
Zusammengefasst: Was wirklich hilft, ist nicht unbedingt das, was auf Tiktok und Co. erzählt wird. Zudem kann es auch viele individuelle Unterschiede geben.