So erging es Schweizer Ex-Häftlingen nach der Freilassung

Rowena Goebel
Rowena Goebel

Regensdorf,

Mit Brian Keller ist der wohl berühmteste Häftling der Schweiz freigekommen. Die erste Zeit draussen ist für viele nicht einfach – zwei Ex-Häftlinge erzählen.

Shane Furrer
Shane Furrer (34) sass viereinhalb Jahre im Gefängnis. Bei Nau.ch erzählt er, wie er die Zeit nach der Freilassung erlebt. - zVg

Das Wichtigste in Kürze

  • Brian Keller ist nach mehr als sieben Jahren aus dem Gefängnis entlassen worden.
  • Ihn erwartet eine grosse Umstellung, wie zwei Ex-Häftlinge erzählen.
  • Bei Nau.ch sprechen sie über Schulden, Flashbacks und Versuchungen.

Nach mehr als sieben Jahren in Haft ist Brian Keller frei. «Jetzt beginnt das Leben», sagte der 28-Jährige am Tag seiner Entlassung vor den Medien. Seither zeigt er sich auf Instagram regelmässig beim Boxen, Rappen – oder beim Coiffeur und Spaghettiessen.

Wie es ist, aus dem Gefängnis zu kommen, erlebt aktuell auch der 34-jährige Shane Furrer. Schon als Oberstufenschüler begann er, Drogen zu verkaufen. Nach fünf Jahren auf der Flucht wurde er verhaftet und verurteilt: Er verbrachte viereinhalb Jahre hinter Gittern.

Seit sieben Monaten lebt er im Arbeitsexternat – eine Wohngemeinschaft, die er nur zum Arbeiten und an Wochenenden verlassen darf. Im Dezember kommt er auf Bewährung frei und kann zurück in seine Heimat, die Ostschweiz, ziehen.

«Man ist sehr müde»

Die Zeit im Gefängnis war geprägt von Fremdbestimmung. Dass er plötzlich wieder viel selbstständiger ist, erlebte Furrer anfangs auch als Hürde, wie er zu Nau.ch sagt.

«Es ist eine riesige Umstellung», sagt der Vater einer vierjährigen Tochter. Er müsse viele neue Eindrücke verarbeiten, sehe nicht mehr jeden Tag nur dieselben Leute. «Das ist streng, man ist oft sehr müde.»

Was den Schritt zurück in die Freiheit erschwert: «Mich erwartet ein Schuldenberg – ich muss 50'000 Franken Gerichtskosten bezahlen. Und als ich auf der Flucht war, kamen alle Rechnungen an eine leere Adresse, das muss ich nachzahlen.»

Für ihn kommt aber nicht infrage, erneut Drogen zu verkaufen: «Ich weiss, dass ich stark bleibe. Früher war Geld meine Motivation. Aber Freiheit kannst du dir nicht kaufen – und auch eine verlorene Jugend bringt Geld nicht zurück.»

Seine Motivation heute: «Ich will frei bleiben, vor allem für meine Tochter. Im Moment lebt sie im Heim, mein Ziel ist es, dass ich sie nächstes Jahr zu mir holen darf.»

Trotz Hürden kommt Furrer bislang gut zurecht, wie er sagt. «Ich habe zwei Jobs. Ich arbeite in einem Fitnesscenter und bin bei der Organisation ‹Gefangene helfen Jugendlichen›.» Dort klärt er Teenager anhand seiner Erfahrungen über die Konsequenzen von Straffälligkeit auf.

«Wusste nicht, wie man einen Schal trägt»

Auch der Autor Simon Volkart* verbrachte viel Zeit im Gefängnis. Er hat als Jugendlicher einen Mann im Affekt getötet – und musste dafür 13 Jahre hinter Gitter.

«Die ersten Wochen nach meiner Freilassung waren zwiespältig», erinnert er sich bei Nau.ch. «Einerseits empfand ich ein extremes Glücksgefühl – alles war wieder möglich, ich konnte tun und lassen, was ich wollte.»

Andererseits sei er übervorsichtig und allen Menschen gegenüber misstrauisch gewesen. «Ich hatte diverse Flashbacks. Immer wenn ich eine Sirene hörte, hatte ich Angst, dass mich die Polizei verhaftet, obwohl ich nichts Falsches getan hatte.»

Kennst du jemanden, der im Gefängnis war?

Wenn er den Nachbarn mit seinen Schlüsseln hörte, habe er sich zurück in der Zelle gefühlt. «Ich glaubte für einen kurzen Moment, ein Wärter kommt mich holen.»

Er habe auch vieles wieder lernen müssen. «Ein simples Beispiel ist, dass ich nicht wusste, wie man einen Schal trägt. Ich hatte schlicht dreizehn Jahre lang keinen mehr getragen», erzählt Volkart.

Er hatte zudem Mühe, sich mit «gewöhnlichen» Menschen zu unterhalten. «Mir fehlten so viele Erlebnisse. Mir kamen die Zivilisten wie naive, infantile Erwachsene vor, die den Ernst des Lebens nicht kannten.»

«Im Gegensatz zu Brian hatte ich realistische Ziele»

Wie bei Brian sei auch Volkarts Ziel gewesen, ein anständiger Bürger zu werden. «Erste Priorität war, dass ich mir nichts mehr zuschulden kommen lasse. Denn als Gewaltverbrecher erwartet mich beim kleinsten Misstritt die Verwahrung.»

Auch beruflicher Erfolg war ihm wichtig. «Im Gegensatz zu Brian hatte ich aber realistische Ziele», betont er. Er sei seit einigen Jahren erfolgreich selbstständig.

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Brian will Profiboxer werden. - Instagram / brian_nr1

Brian hatte nach seiner Freilassung verkündet, er wolle Profiboxer werden – daran glaubt Volkart nicht. «Dass er mit 28 erfolgreicher Profiboxer wird, ist extrem unwahrscheinlich. Unrealistische Ziele sind gefährlich, weil es frustrierend ist, sie nicht zu erreichen», warnt er.

Er hat für Brian noch einen weiteren Tipp: «Sich fernhalten von problematischen Menschen, insbesondere Kriminellen.»

Angst, rückfällig zu werden, hatte Volkart nicht. Er habe sich in seiner Zeit im Gefängnis stark verändert, erzählt er: «Als junger Mann war ich extrem gewaltbereit und von mir selbst eingenommen.» Heute sagen ihm viele Leute, er strahle eine grosse Ruhe aus.

Rückfallgefahr bei Gewalttaten kleiner

Bei Brian warnte der Staatsanwalt vor einer hohen Rückfallgefahr. Immerhin: Zumindest die Statistik ist auf seiner Seite. Bei Personen, die wegen Gewalttaten ins Gefängnis mussten, liegt die Rückfallquote bei 15,9 Prozent.

«Nur jeder sechste wegen Gewalt Inhaftierte kommt also nach der Freilassung wieder in den Vollzug. Dies ist im Vergleich mit anderen Taten – beispielsweise Diebstahlsdelikten – ein unterdurchschnittlicher Wert», sagt Kriminologe Dirk Baier.

Mitentscheidend seien aber auch pädagogische, sozialarbeiterische oder therapeutische Massnahmen. «Brian hat sich verschiedenen Massnahmen verweigert. Das könnte zur Folge haben, dass die Rückfälligkeit letztlich grösser ausfällt.»

Gewalt
Eine der bekanntesten Rückfalltaten der Schweiz war der Mord am Zollikerberg im Jahr 1993. Abgebildet: Täter Erich Hauert (Mitte). (Archiv) - keystone

Exakt lasse sich das aber nicht bestimmen. «Menschen sind komplex – und es gibt natürlich spektakuläre Rückfalltaten.» Ein Beispiel ist der Zollikerberg-Mordfall.

1993 wurde dort die 20-jährige Pfadfinderführerin Pasquale Brumann mit Stichen in den Hals getötet. Der Täter: Der bereits wegen elf Vergewaltigungen und zwei Sexualmorden verurteilte Häftling Erich Hauert. Den Mord beging er im Hafturlaub.

*Autoren-Pseudonym

Kommentare

User #3023 (nicht angemeldet)

Stimmt genau, wenn ich keine Freundin gehabt hätte, hätte ich es nie geschafft. Ich habe Sie im Gefängnis per Inserat kennengelernt, wo ich 8 Jahre UNSCHULDIG dass, für Passive Sterbehilfe, ist nach Gesetz nicht Strafbar. War ne harte Zeit im Knast. Aber ohne Hilfe schafft man es draußen nicht. WICHTIG, man muss es selber wollen, das es klappt. Bin seit 15 Jahren frei, habe kleine IV Rente. Dafür bin ich zufrieden mit mir und meistens glücklich. Meine damalige Freundin, ist heute noch die beste Freundin.

User #2509 (nicht angemeldet)

leider kann hier was nicht stimmen..ein Mord als Jugendlicher kann gemäss Jugendstrafrecht unmöglich 13 Jahre geben..Zudem wird nach guter Führung die Hälfte der Strafe reduziert und nicht nach zwei Drittel wie bei den Erwachsenen..sorry Nau

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