So funktionieren Plattformen, die Christchurch Video verbreiten
In den sozialen Medien verbreitete sich das Christchurch-Video rasend schnell. Während es auf Facebook gelöscht wurde, blieb es auf anderen Plattformen.
Das Wichtigste in Kürze
- Bei einem rechtsextremen Anschlag in Christchurch auf Neuseeland starben 50 Menschen.
- Der Mörder kündete die Tat auf einer Chan-Plattform an.
- Dort herrscht eine derbe und menschenfeindliche Kultur.
«Ohne Facebook hätte es den Anschlag in Neuseeland nicht gegeben», sagte ein Techjournalist gestern gegenüber Nau. Doch während Facebook die Videos nach und nach löschte, verbreitete es sich anderswo rasend schnell.
Innert kürzester Zeit landete das ganze Mord-Video auf sogenannten Chan-Plattformen. Dort wurde die Tat bejubelt. Doch was sind das für Plattformen? Es handelt sich um einfache Foren, die primär dem Bild- und Textaustausch dienen.
Der Ursprung findet sich in Japan. «Oftmals tauschen die User Manga-Pornos inklusive Underage, entwickeln grenzüberschreitende In-Jokes und Sprach-Codes.» Dies sagt Digital-Blogger René Walter vom Blog «Nerdcore». Die Kultur sei dann in den Westen übergeschwappt.
Die «Elite» trifft sich dort
Die Plattformen ziehen vorwiegend junge Männer aller Schichten an. Dort herrsche laut Walter eine Kultur der Selbstüberhöhung. Die User sehen sich als Teil einer Elite.
Doch: Sie sind oft arbeitslos oder prekär beschäftigt mit miserablen Aussichten auf einen sozialen Aufstieg, wie Walter sagt.
Ihrer Frustration würden sie dann dort abbauen. Walter: «Es ist die Kultur 14-jähriger männlicher Teenager, in der jede Äusserung mit einem ‹Halts Maul› beantwortet wird.»
Der Umgang sei äusserst rüde. «Der Ton in den Chans ist allermeist hochaggressiv», so Walter. Die Posts würden beispielsweise oft mit «Faggot» kommentiert, ein abwertender Begriff für Homosexuelle. Grenzen kennen die Imageboards fast keine.
Brutale Videos, heftige Pornografie. Nur Tierquälerei findet sich laut Walter nicht. Im Gegenteil: Die User hätten gar aktiv nach Tierquälern gesucht.
Walter: «Aus heutiger Perspektive erscheint mir diese angebliche Tierliebe vor allem einer tiefgehenden Misanthropie geschuldet.» Durch den Wettbewerb um Aufmerksamkeit würden die Inhalte ständig krasser. Suizid-Glorifizierung oder Faschismus gehörten mittlerweile «zum guten Ton».
Christchurch als Höhepunkt der Troll-Kultur
«Der Terroranschlag von Christchurch ist der vorläufige Höhepunkt dieser Troll-Kultur», sagt Walter. Doch radikalisieren sich Menschen wegen solcher Inhalte? «Digitalisierung ist nicht der alleinige Grund», sagt Internetsoziologe Stephan Humer. Der sich radikalisierende «Lone Wolf» sei mehr Mythos als Realität.
Die brutale Tötung von Menschen brauche mehr als das Surfen im Netz, so Humer. Verschiedene Bauteile sorgen im Endeffekt für die Radikalisierung von Menschen. Die Chan-Portale seien «in aller Regel nur ein kleiner Mosaikstein im Gesamtgefüge».