Staatsanwältin fordert wegen Mord lange Freiheitsstrafe
Das Berner Obergericht prüft ein Mordurteil gegen die ehemalige Boxweltmeisterin Viviane Obenauf Tagliavini. Während der Befragung brach sie zusammen.
Das Wichtigste in Kürze
- Viviane Obenauf Tagliavini sitzt im Gefängnis – sie soll ihren Ehemann umgebracht haben.
- Der Fall der Ex-Profi-Boxerin ist vor dem Obergericht in Bern.
- Obenau beteuert ihre Unschuld und sagt, jemand anderes habe ihren Mann getötet.
- Während der Befragung brach sie zusammen, der Prozess musste unterbrochen werden.
Im Obergerichtsprozess um eine ehemalige Profiboxerin wegen Mordes an ihrem Ehemann hat die Staatsanwaltschaft am Montag eine Freiheitsstrafe von 18,5 Jahren gefordert.
Das ist mehr als die in erster Instanz verhängte Freiheitsstrafe von 16 Jahren. Die Staatsanwaltschaft zerpflückte am späten Nachmittag die Argumente der Verteidigung.
Es gebe keine Hinweise auf eine Dritttäterschaft, dies sei im Rahmen der Ermittlungen eingehend abgeklärt worden. Die Beziehung der Angeklagten mit ihrem Gatten habe sich stark verschlechtert. Er habe sie abgewiesen und das Paar habe auch nicht mehr zusammen gewohnt.
Das habe der stolzen, dominanten Frau stark zugesetzt. Sie habe über einen Schlüssel zur Wohnung ihres Mannes verfügt. Die Angeklagte habe die Balkontüre geöffnet, um einen Einbruch vorzutäuschen.
19 Mal eingeschlagen
Als der Ehegatte nach Hause gekommen sei, sei er direkt im Eingangsbereich von der Frau angegriffen worden. Diese habe 19 Mal mit einem Baseballschläger auf ihn eingeschlagen.
Dass die Frau viel mehr Gewalt angewendet habe als nötig, deute auf ein Beziehungsdelikt hin. Ausserdem sei das Smartphone des Gatten kurz vor der Tat in seiner Wohnung zertrümmert worden und am Boden hätten die Ermittler den Ehering gefunden.
Nach der Tat sei sie als erste am Tatort erschienen und habe die Wohnung zusammen mit ihrem kleinen Sohn betreten, um Spuren zu kontaminieren. So habe sie etwa den blutverschmierten Baseballschläger ihrem kleinen Sohn in die Hände gedrückt.
Insgesamt liessen die Indizien keinen Zweifel an der Täterschaft der Angeklagten aufkommen, hielt die Staatsanwaltschaft fest. Sie forderte eine Verurteilung wegen Mordes und zusätzlich zur Freiheitsstrafe auch einen Landesverweis von 14 Jahren.
Verteidiger fordert Freispruch
Der Verteidiger der wegen Mordes angeklagten Ex-Boxerin hat am Montag vor dem bernischen Obergericht den Freispruch seiner Klientin gefordert. Die Indizien seien nicht ausreichend, vielmehr könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine andere Täterschaft das Opfer umgebracht habe.
Der Verteidiger führte zugunsten seiner Klientin zahlreiche entlastende Elemente ins Feld. So habe sie zur Tatzeit an Schulter- und Ellenbogenproblemen gelitten und sei krank geschrieben gewesen. Sie hätte die nötigen Schläge gar nicht ausführen können.
Das Mordopfer habe notorische Unordnung mit seinen Schlüsseln gehabt. Es sei also nicht klar, wer ausser seiner Klientin noch einen Schlüssel zur Wohnung des Opfers hatte. Ausserdem habe das Opfer die Balkontüre bisweilen offen gelassen. Eine Täterschaft hätte sich also auch über die offene Balkontüre in die Wohnung einschleichen können. Dass an der Fassade keine Spuren gefunden wurde, bedeute nicht automatisch, dass diese Version unwahr sei.
Auch Entschädigung gefordert
Dass Zeugen das Auto der Angeklagten zur Tatzeit an einem Geräusch erkannt haben wollten, bezweifelte der Verteidiger. Der entsprechende Zeuge schildere den Ton, den er gehört haben wolle, immer wieder anders. Zudem wäre der Ton nur entstanden, wenn die Klimaanlage des Wagens eingeschaltet gewesen wäre. In einer kalten Oktobernacht wäre dies kaum wahrscheinlich gewesen.
Auch die Blutspritzer auf den Schuhen der Angeklagten könnten in anderem Zusammenhang als der Tat dorthin gelangt sein. Als die Frau ihren getöteten Gatten in dessen Wohnung fand, sei noch nicht alles Blut am Tatort trocken gewesen.
Seine Klientin habe am Abend der Tat ihre Wohnung in Oberried am Brienzersee nicht mehr verlassen. Das lasse sich aus den Daten ableiten, dass sie zuerst mit dem Sohn einen Film geschaut, ihn ins Bett gebracht und anschliessend selber noch einen Film geschaut habe, der nicht ganz bis zum Ende durchgelaufen sei. Das heisse, dass sie ihn abgeschaltet habe. Dazu habe sie zu Hause sein müssen.
Insgesamt machte der Verteidiger begründete Zweifel an der Täterschaft seiner Klientin geltend. Diese sei freizusprechen und für die ausgestandene Haft von über drei Jahren mit 200 Franken pro Tag zu entschädigen.
Der Präsident der Strafkammer gab am Nachmittag noch bekannt, dass ein Polizist der Angeklagten tatsächlich ein Portemonnaie und eine Uhr des verstorbenen Gatten ausgehändigt hatte, allerdings nicht in der Wohnung der Angeklagten, sondern in ihrem Boxstudio.
Zusammenbruch bei Befragung
Zuvor war die ehemalige Profiboxerin während ihrer Befragung zusammengebrochen. Die Verhandlung wurde unterbrochen.
Die zierliche, aber impulsive Frau sass am Montag kerzengerade vor dem dreiköpfigen Gericht. Nachdem längere Zeit Vorfragen geklärt werden mussten, startete die Befragung der Angeklagten.
Die Frau redete sich bisweilen in Rage, dann weinte sie wieder. Mit Vehemenz betonte sie ihre Unschuld. Das Gericht stellte konkrete Fragen zum Geschehen kurz vor und nach der Tat. Als das Gericht die Frau mit gewissen Widersprüchen konfrontierte, verlor sie die Fassung und musste von den sie begleitenden Polizisten betreut werden.
Das erstinstanzliche Regionalgericht in Thun hatte die Frau im Dezember 2022 nach einem Indizienprozess wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 16 Jahren verurteilt. Sie soll ihren Gatten, einen Interlakner Wirt, im Oktober 2020 umgebracht haben.