Strassenmusiker rechnet mit Gesellschaft ab: «Ganzes Geld weg!»
Münz im Hut? Eine Seltenheit. Obendrauf erleichtert ihn die Polizei um sein ganzes Geld. Trotzdem hält Luis an seinem Kunstschaffen als Strassenmusiker fest.
Das Wichtigste in Kürze
- Luis, seit 17 Jahren Strassenmusiker, fühlt sich von der Gesellschaft unfair behandelt.
- Die Polizei erleichtere ihn um all sein Geld, von Passanten werde er stigmatisiert.
- Trotzdem hält er an seiner Berufung fest, denn: Manchmal erlebe er auch schöne Dinge.
Seit 17 Jahren ist Luis (38) Strassenmusiker. Immer wieder schlägt er in die Saiten seiner Gitarre. Doch seine Berufung wird nicht immer positiv aufgenommen.
Kürzlich eskaliert eine Situation in der Berner Altstadt: Als er unter anderem Cover-Songs von Pink Floyd und Neil Young spielt, droht ihm eine Frau mit der Polizei.
Andere Zuschauer stellen sich auf die Seite des Künstlers, versuchen zu schlichten, rufen: «Hey, er spielt doch super Sound, lassen Sie ihn!»
Im Gespräch mit Nau.ch sagt der Musiker: «Ich fühlte mich von der Frau verachtet. Leider passieren solche Dinge immer wieder.»
Ein harter Alltag für Strassenmusiker
Luis ist sich bewusst, dass er als Künstler oft mit Widerständen leben muss. «Der Kunde hat immer recht – auch wenn er nicht recht hat.»
Dieses Prinzip gelte nicht nur auf der Strasse, sondern auch in Konzertlokalen. «Wenn die Gäste unzufrieden sind, bleibt dem Veranstalter oft keine Wahl, als den Musiker rauszuwerfen.»
Berner Passanten «dulden keine Ungerechtigkeit»
Die Unterstützung der Passanten in der Altstadt sieht Luis als Zeichen von Zivilcourage: «Anständige Menschen dulden keine Ungerechtigkeit.»
Solche Aktionen seien für ihn moralischer Rückhalt und eine deutliche Botschaft: «Die Kriminalisierung von Strassenmusik ist falsch.»
Polizei nimmt Strassenmusiker ganzes Geld weg
Besonders einschneidend sind für Luis die Erfahrungen mit der Polizei.
Etwa in der Stadt Zürich, wo Strassenmusik zwar nicht verboten, aber eingeschränkt ist, erlebte er harte Massnahmen: «Die Polizei nahm mir mein ganzes Geld weg – nicht nur das Trinkgeld, sondern alles, was ich bei mir hatte», behauptet er. Hinzu sei eine Busse von mindestens 200 Franken gekommen.
Die Begründung: Jeder Franken werde als Erlös aus illegalen Aktivitäten betrachtet.
Das führt nicht nur zu einer doppelten, sondern zu einer dreifachen Bestrafung.
Denn: «Das beschlagnahmte Geld wird nicht einmal von der Geldstrafe abgezogen. Am Ende bleibt nichts: Trinkgeld weg, Ersparnisse weg und dazu eine hohe Busse.»
Die Stadtpolizei Zürich hält dem auf Anfrage von Nau.ch entgegen: «Das beschriebene Szenario ist nur bedingt realistisch.»
Während ohne weitere Angaben nicht auf den Fall eingegangen werden kann, stehe fest: «Offensichtlich erbetteltes Geld wird gegen eine Quittung sichergestellt.»
Strassenmusiker: Gastronomie «hasst Livemusik»
Auch in Bern, wo Strassenmusik zur Stadt gehört, fühlt sich Luis nicht immer willkommen. «Manche Bar- und Restaurantbesitzer hassen Livemusik!»
Und was das Publikum betrifft, ist seine Erfahrung ernüchternd: «Die meisten sind nicht bereit, auch nur einen Franken für eine Darbietung zu geben. Es sei denn, man hat Glück, darf drinnen spielen und den Hut herumreichen.»
Künstler kämpfen mit Stigma
Dabei glaubt Luis nicht, dass es an der Qualität liegt: «Strassenmusiker werden diskriminiert, weil sie Strassenmusiker sind. Es spielt keine Rolle, ob man talentiert ist. Das Stigma bleibt», glaubt er.
Luis schildert, dass es selbst an Orten, die als alternativ gelten, oft Vorurteile gebe: «Sie machen einen auf weltoffen. Aber sobald ein Mann mit Hut erscheint, um Münzen für sein Essen zu sammeln, ändert sich die Stimmung.»
Gastro-Betriebe wollten von seiner Musik nur «profitieren, bieten mir aber nicht einmal ein Glas Wasser an».
Solange er nur spiele, sei alles gut. Doch sobald es ums Geld gehe, spüre er Verachtung.
«Gesellschaft gibt einen Sch*iss auf Musik»
Über die Gesellschaft fällt Luis ein klares Urteil: «Egal, ob links oder rechts: Die Leute sind zu sehr mit Politik beschäftigt. Niemand schert sich um Musik.»
Diese Haltung begegne ihm nicht nur in Bern oder Zürich, sondern in ganz Europa.
Doch es gebe auch positive Ereignisse: «Jemand liess mich mal in seinem Haus schlafen und gab mir 400 Franken!» Wegen solchen Ereignissen halte er an der Strassenmusik fest.
Unterm Strich sei die Strassenmusik wegen all der negativen Ereignisse heute aber vor allem eines: «Mein Job und nichts weiter.»
Anwohner reichen wegen Strassenmusikern Lärmklage ein
2021 reichten Anwohner der Stadt Bern wegen Strassenmusikern sogar eine Lärmklage ein.
Eine Nau.ch-Umfrage unter Berner Gastronomen zeigt hingegen, dass viele Betreiber Strassenmusikern positiv gesinnt sind.
Ein Gastronom, der anonym bleiben will, erzählte: «Ein Musiker spielt Rhythm and Blues, sehr rockig.»
Das führe dazu, dass selbst er stehen bleibe: «Der ist unglaublich. Man will einfach nicht, dass er aufhört.»
Auch das Musik-Genre spielt eine Rolle.
Barkeeperin Xenia aus der Bar Departement 66 schwärmt: «Jazz und lateinamerikanische Musik kommen bei uns sehr gut an. Als Jazz-Bar wissen wir guten Jazz natürlich besonders zu schätzen.»
Hat Luis bisher einfach Pech gehabt oder die falschen Orte bespielt? Sein Kampf für die Anerkennung der Strassenmusik geht weiter.