Teenager mit Psychose muss ein Jahr auf Therapie warten
Es fehlt seit Jahren an Fachkräften in den Psychiatrien – in den Jugendpsychiatrien hat sich die Situation sogar noch zugespitzt. Für Betroffene ist das fatal.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Versorgungsmangel spitzt sich in den Schweizer Jugendpsychiatrien weiter zu.
- Es gibt «bei Weitem» zu wenig Therapieplätze, moniert die Patientenvereinigung SPO.
- Eine Psychiaterin erklärt, wie schwerwiegend die Folgen sein können.
In den Jugendpsychiatrien hat sich die Überlastung noch einmal zugespitzt. «Tendenz steigend», sagt Susanne Gedamke von der Patientenorganisation SPO zu Nau.ch. «Es gibt bei Weitem zu wenig Therapieplätze, sowohl ambulant als auch stationär.»
Auch die Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie FMPP beobachtet, dass die Situation in den Psychiatrien angespannt bleibt.
Sprecher Marco Tackenberg ergänzt: «Überlastungen gibt es vor allem im ambulanten Bereich der Psychiatrie.» In den Städten sei die Versorgung besser als auf dem Land. «Dort ist der Fachkräftemangel noch viel akuter.»
Familie erwägt sogar Behandlung im Ausland, weil Plätze fehlen
Für Betroffene kann das «fatale Folgen» haben, wie Psychiaterin Esther Pauchard bei Nau.ch erklärt. «Es gab zum Beispiel den Fall von einem Jugendlichen, der einen ersten Schub einer schizophrenen Psychose erlitt. Er hatte Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Veränderungen im Denkvorgang.»
Das sei eine ernste psychiatrische Erkrankung, bei der man im Idealfall direkt mit der Therapie beginnt, wenn erste Symptome auftreten. «Der junge Mann musste aber rund ein Jahr auf einen stationären Therapieplatz warten. Es ging so lange, dass die Familie erwog, ihn ins Ausland in die Therapie zu schicken», erinnert sich Pauchard.
Das Problem: «Beginnt man nicht frühzeitig mit einer Therapie, werden die Symptome eher chronisch.» Das ist auch für die Krankenkassenzahlenden ein Nachteil. «Es kostet viel mehr Ressourcen und Zeit, eine voll etablierte psychiatrische Krankheit zu behandeln, als wenn man früh intervenieren kann.»
Dabei könnte man Krankheiten teilweise sogar stoppen, wenn man sie frühzeitig erwische. «Zu mir kam zum Beispiel einmal ein Mann in die Therapie, der Panikattacken hatte. Er war zirka einen Tag nach den ersten Symptomen bei mir – ein Gespräch reichte und er erholte sich.»
Männer erleiden Schübe oft als Teenager
Betroffen von psychiatrischen Krankheiten wie schizophrenen Schüben seien besonders häufig männliche Teenager. «Bei Männern ist es statistisch gesehen oft so, dass sie solche Schübe erstmals im Jugendalter haben. Sie haben sich noch kein Leben aufgebaut, keine abgeschlossene Ausbildung, keine eigene Familie.»
Das erhöht laut Pauchard das Risiko zusätzlich, dass eine Erkrankung chronisch wird. «Ihnen fehlen das Umfeld und die Struktur, auf die sie sich stützen könnten. Im schlimmsten Fall kann sich ein Betroffener sein Leben lang nicht in der Gesellschaft etablieren.»
Sie betont deshalb: «Gerade bei frühem Krankheitsbeginn wären frühe Interventionen wichtig.»
Zu wenig Studienplätze und mehr Patienten
Klar ist: Überlastungen in den Psychiatrien sind kein neues Problem. «Die Herausforderungen in der psychiatrischen Versorgung bestehen seit Jahren», sagt FMPP-Sprecher Tackenberg. Aber warum bessert sich die Situation nicht?
Dass sich der Mangel verschärft hat, führt Tackenberg auf langfristige Entwicklungen zurück. «Die Enttabuisierung psychischer Erkrankungen und eine dadurch gestiegene Nachfrage nach Behandlungen ist ein wichtiger Faktor.»
Zudem gebe es zu wenige Studienplätze, was wiederum den Fachkräftemangel anheizt. «Und zu wenige Medizinstudierende wählen Psychiatrie als Fachrichtung.»