«Überlegen nicht»: Schweizer scheitern an Rettungsgasse – die Gründe
Das Bilden einer Rettungsgasse ist in der Schweiz seit vier Jahren obligatorisch. Trotzdem funktioniert das System nur selten. Die Gründe.
Das Wichtigste in Kürze
- Im Vergleich zum Ausland werden in der Schweiz selten Rettungsgassen gebildet.
- Dabei wäre dies hierzulande seit vier Jahren obligatorisch.
- Der oberste Schweizer Fahrlehrer und das Astra erörtern Gründe und Gegenmassnahmen.
In der Ferienzeit, nach Feierabend oder bei Unfällen stauen sich die Fahrzeuge hierzulande praktisch täglich. Was weniger häufig passiert: das Bilden einer Rettungsgasse.
Seit vier Jahren obligatorisch
Seit dem 1. Januar 2021 ist das Bilden einer Rettungsgasse in der Schweiz obligatorisch. Bei einem Verstoss wird eine Busse in der Höhe von 100 Franken fällig.
In seinem «Autobahn-Knigge» schreibt das Bundesamt für Strassen Astra: «Lassen Sie bei stockendem Verkehr und jedem Stau auf Autobahnen für Einsatzfahrzeuge eine Rettungsgasse in der Mitte der Fahrstreifen frei.»
Die Regel ist also klar. Trotzdem funktioniert das System nicht. Sagt einer, der es wissen muss: Michael Gehrken, Präsident von L-Drive, der Vereinigung der Schweizer Fahrlehrer.
«In der Schweiz besteht beim Bilden einer Rettungsgasse in der Praxis noch viel Luft nach oben», meint Gehrken gegenüber Nau.ch.
Weshalb? «Die entsprechende Vorschrift ist vergleichsweise neu. Bei vielen Verkehrsteilnehmenden besteht Informations- und Sensibilisierungsbedarf.»
«Respekt ist abhandengekommen»
Dazu komme, dass Rücksichtnahme und Respekt im Strassenverkehr teilweise generell abhandengekommen seien. «Viele Automobilisten überlegen im Stau nicht, dass Rettungskräfte auf eine korrekte Rettungsgasse angewiesen sein könnten.»
Dabei kann eine Gasse Leben retten, sagt Anita Brechtbühl vom Automobil-Club der Schweiz ACS: «Die Rettungsgasse ermöglicht den Rettungskräften, rascher am Unfallort einzutreffen.»
Vor Ort können die Rettungskräfte dann die Unfallstelle sichern, den Verkehr regeln und die Unfallfolgen mindern. Alles mit dem Ziel, verletzte Personen zu bergen und, eben, Leben zu retten.
Der ACS hat keine konkreten Zahlen darüber, wie oft in der Schweiz eine Rettungsgasse gebildet wird. Brechtbühl ist aber der Meinung: «Aus unserer Sicht könnten die Kommunikationsmassnahmen durchaus verstärkt werden.»
Es sei möglich, dass der Autofahrer im routinierten Fahrmodus nicht daran denke, wenn er in einen Stau fährt. «Hinweise in verschiedenen Formen könnten hier helfen.»
Die Massnahmen des Astra
Dies hat auch das Astra erkannt. «Es laufen diverse Kampagnen zum Thema», meint das Bundesamt gegenüber Nau.ch. Das Astra selber schalte immer wieder den Hinweis «Bei Stau: Rettungsgasse bilden» auf die Wechseltextanzeigen auf den Autobahnen.
Zusätzlich gebe es eine Vereinbarung zwischen dem Astra und SRF. Gemäss dieser soll die Meldung auf Wunsch des Astra oder der Polizei regelmässig im Radio ausgestrahlt werden.
Fahrlehrer Michael Gehrken begrüsst diese Informationsanstrengungen des Astra. Natürlich sind aber auch die Fahrlehrer selber gefordert.
In den Fahrschulen ist die Rettungsgasse Bestandteil der theoretischen wie praktischen Fahrausbildung. Gehrken: «Wenn es in der Verkehrskunde generell ums Thema Autobahnen gehe, werde immer auch die Rettungsgasse thematisiert.»
Fahrlehrer fordert «Refresher»
Auch abgesehen von der Rettungsgasse schade ein «Refresher», also ein Wiederholungskurs, gerade auch routinierten Automobilisten zweifellos nicht. Denn: «‹Fahren dürfen› nach erfolgreicher Prüfung heisst noch nicht ‹fahren können›.»
Und die Rettungsgasse? Korrektes Fahren bringt unter dem Strich allen Autofahrern etwas: «Sie dient auch den im Stau stehenden Fahrern. Ist schneller Hilfe da, löst sich der Stau schneller auf.»
Letztlich also eine Win-win-Sache. Nun sollte sie in der Schweiz nur noch besser umgesetzt werden.