Ukrainerin (18): «Heute ist kein grosser, böser Tag für mich»
Vor genau einem Jahr marschierte Russland in der Ukraine ein. Zwei Ukrainerinnen, die in die Schweiz geflüchtet sind, erzählen von turbulenten zwölf Monaten.
Das Wichtigste in Kürze
- Alina Kurylo (18) und Iryna Medunetska (37) sind vor dem Ukraine-Krieg geflüchtet.
- Seit letztem Frühling leben sie in der Schweiz – zunächst ein grosser Kulturschock.
- Bei Nau.ch blicken sie zurück auf den 24. Februar 2022 und auf ein turbulentes Jahr.
Den 24. Februar, vor genau einem Jahr, wird Alina Kurylo (18) wohl nie vergessen. «Ich wachte um halb fünf Uhr morgens auf wegen lauten Geräuschen. Zuerst wusste ich nicht, ob sie echt sind, oder nicht», erinnert sich die Ukrainerin, die jetzt in der Schweiz lebt.
Alina stammt aus der südukrainischen Stadt Mykolajiw. Was sie an diesem Morgen hörte, waren Bomben – der Beginn der russischen Invasion in das Nachbarland. Trotzdem will sie dem heutigen Datum keine besondere Bedeutung beimessen. «Es ist kein grosser, böser Tag für mich, ich versuche einfach nur, glücklich zu sein», sagt sie.
Für Iryna Medunetska (37), die wie Alina vor dem Krieg in die Schweiz geflüchtet ist, ist das nicht so einfach. «Natürlich ist der 24. Februar ein Trigger für mich. Es ist sehr schwierig, daran zu denken, was passiert ist», sagt sie.
Grosser Kulturschock für Geflüchtete
Was sie erlebt hat, beschreibt Iryna als «nicht einfach» und «stressig». Als die ersten Bomben fielen, war sie gerade bei Freunden in Kiew. Nach knapp einer Woche flüchtete sie mit dem Zug nach Polen, von dort kam sie in die Schweiz. Hier wurde sie von einer Gastfamilie zusammen mit einer anderen ukrainischen Familie beherbergt.
Der Kulturschock war gross. «Die Menschen sind sehr ruhig hier und sogar das Gesetz verbietet, dass man zu viel Lärm macht», sagt sie. «Manchmal habe ich mich gefühlt, als wäre das Leben stehengeblieben.»
Auch für Alina war die Ankunft in der Schweiz schwierig: «Ich hatte keine Freunde, ich war sehr einsam.» Sie lebt seit Anfang März des letzten Jahres in einer Asylunterkunft in Altendorf SZ. Mit ihrer Grossmutter und ihrem Bruder flüchtete sie über Moldawien zunächst nach Deutschland.
Dann empfahlen ihnen Freunde, in die Schweiz zu kommen. «Ich wusste nichts über die Schweiz, ausser, dass es Banken gibt, Schokolade und Käse», sagt sie und lacht. Ihr erster Eindruck von Altendorf: «Wunderschön, aber sehr klein.»
Freunde in der Schweiz
Später habe sie über Ausflüge für junge Ukrainerinnen und Ukrainer andere Geflüchtete in der Region Basel kennengelernt. «Basel ist internationaler, die Menschen sind sehr offen.» Ein grosser Unterschied zum Kanton Schwyz, findet Alina. «Dort haben die Menschen zwar immer gegrüsst und gelächelt, aber ich hatte Mühe zu verstehen, was sie wirklich denken.»
Auch Iryna fällt es schwer, sich an ihre neue Realität zu gewöhnen. «Ich habe sehr schöne Orte in der Schweiz besucht, wie Luzern oder Interlaken. Aber wegen dem, was in der Ukraine passiert, kann ich nicht glücklich sein», erklärt sie.
Sie vermisst ihr Leben vor dem Krieg: «Früher hatte ich ein Zuhause, ein Auto, mein Geschäft – jetzt ist alles anders.» Natürlich sei es wichtiger zu leben, als diese materiellen Dinge zu haben. «Aber es ist schwierig, ohne Familie und Freunde zu sein.»
Wollen nicht zurückgehen
Trotzdem ist Iryna nicht sicher, ob sie in die Ukraine zurückkehren will. «Ich weiss nicht, ob ich die Kraft habe, mir noch einmal ein neues Leben aufzubauen», sagt sie. Sie möchte keine konkreten Pläne für die Zukunft machen, weder in der Schweiz noch anderswo – das stresse sie. «Wer weiss, vielleicht finde ich plötzlich einen Partner hier», fügt sie lachend hinzu.
Derzeit arbeitet sie an ihrem Abschluss an Kiews Universität für darstellende Künste und arbeitet nebenbei. Sie hat bereits einen Kurzfilm über ihre Flucht veröffentlicht. Anschliessend möchte sie einen Job in der Film- oder Fernsehbranche finden.
Alina will ebenfalls nicht zurück in die Ukraine. Die 18-Jährige nimmt in Basel an einem zweijährigen Deutsch-Programm teil und will bald in die Stadt umziehen. Später möchte sie etwas im Bereich Kunst oder Webdesign studieren. «Ich bin jetzt sehr glücklich hier», sagt sie.