«Wegen dem Nein waren die 90er-Jahre ein verlorenes Jahrzehnt»
Das Wichtigste in Kürze
- Vor 25 Jahren hat das Stimmvolk knapp Nein gesagt zum EWR-Beitritt.
- Im Gegensatz zur SVP sieht FDP-Nationalrätin Christa Markwalder keinen Grund zum Feiern.
- Die Schweiz habe 10 Jahre verloren und habe nachträglich die Wirtschaftsbeziehungen zur EU kitten müssen.
Nau: Was ist Ihre Bilanz 25 Jahre später?
Markwalder: Aus meiner Sicht wären wir nach wie vor besser dran, wenn wir 1992 dem EWR beigetreten wären. Aber bei demokratischen Entscheiden, auch bei den ganz knappen, muss man das Beste draus machen, und das hat die Schweiz geschafft.
Wissen Sie heute noch, wie Sie damals reagiert haben, als sich das Nein abzeichnete?
Es gibt solche Tage, an die man sich sein Leben lang erinnert. Ich war zwar damals 17 Jahre alt und noch nicht stimmberechtigt. Selbstverständlich hätte ich Ja gestimmt. Deshalb war ich über das Resultat sehr enttäuscht. Es war der 2. Advent, Samichlausentag, und ich habe zum ersten Mal mit dem Orchesterverein Burgdorf beim Weihnachtskonzert mitgespielt. Einige Musizierende engagierten sich auch politisch, und schon in der Vorprobe war die Stimmung gedrückt. Am Abend habe ich dann die Fernseh-Ansprache des damaligen Bundesrats Jean-Pascal Delamuraz gesehen: «Heute ist ein schwarzer Sonntag.» Ein historischer Satz.
Verlierer malen gerne zunächst schwarz. Waren die Konsequenzen tatsächlich so schlimm?
Die Konsequenzen waren riesig, aber sie werden oft bewusst ausgeblendet. In den 90er-Jahren hatten wir kaum Wirtschaftswachstum oder gar Rezession und explodierende Staatsschulden. Für junge Leute war es schwierig, eine Lehrstelle zu finden. Ich erinnere mich an die Hiobsbotschaften von Massenentlassungen, Unternehmensschliessungen – die Rezession hatte uns voll erwischt und die Stimmung im Land war ziemlich schlecht.
Die SVP sieht das komplett anders und feiert das EWR-Nein als Erfolg mit einer Kundgebung in Bern…
Wenn die SVP 25 Jahre EWR-Nein feiert, muss man ihr diese Tatsachen immer wieder vor Augen halten: Sie wischen dieses verlorene Jahrzehnt der 90er-Jahre gerne aus dem kollektiven Gedächtnis.
Aber eben: Wir haben uns wieder aufgerappelt. Mehr Disziplin bei den Staatsausgaben, die Erfindung der Schuldenbremse, um die uns viele Länder beneiden, und dann die Bilateralen als EWR-Ersatz. Das sind doch positive Folgen des EWR-Neins?
Wir haben einfach aus der Not eine Tugend gemacht. Wir haben uns reformieren müssen in dieser schwierigen wirtschaftlichen und politischen Situation. Allerdings sind wir bei den Bilateralen auch immer auf den Goodwill der EU angewiesen. Das wird mit dem Brexit noch schwieriger als bisher. Wir haben ein gestörtes Verhältnis zu Europa. Eigentlich müssten wir uns gemeinsam den Herausforderungen der Digitalisierung widmen oder dem aufstrebenden China, das auch in der Schweiz etliche Firmen zusammenkauft. Und wie geht man mit den USA um, mit ihrem sehr unberechenbaren Präsidenten? Europa ist unser bester und wichtigster Partner.
Was wäre wenn das Stimmvolk damals Ja gesagt hätte?
Das würde mich sehr wundernehmen! Ich sehe zwei Szenarien: Entweder wir hätten uns gemeinsam mit den anderen neutralen Staaten 1995 um die EU-Mitgliedschaft bemüht, und das wäre in einer Volksabstimmung angenommen worden – weil man mit dem EWR gute Erfahrungen gemacht hätte. Oder man hätte das abgelehnt, weil die politische Union dann doch als zu starke Einbindung empfunden worden wäre, und wir wären im EWR geblieben. Aber auch 25 Jahre später haben wir noch nicht den vollen Marktzutritt zum Binnenmarkt, die Dienstleistungsfreiheit fehlt. Es braucht immer zwei für einen Tango, man kann nicht einfach einseitig entscheiden, wie man’s gerne hätte.