Wirte deklarieren Trinkgeld auf Lohnausweis - Personal sauer
Weil immer mehr Menschen mit Karte bezahlen, stehen Gastrobetriebe vor einem Problem. Wirte gehen unterschiedlich mit der Herausforderung um.
Das Wichtigste in Kürze
- Immer weniger Menschen bezahlen mit Bargeld - das hat auch Auswirkungen auf das Trinkgeld.
- Das digitale Trinkgeld hinterlässt nämlich Spuren in der Buchhaltung.
- Gastrobetriebe stehen deshalb zunehmen vor einem Problem.
In der Schweiz ist Trinkgeld für die meisten Menschen eine alltägliche Sache. Wir richten damit unseren Dank an die Person, die uns gut bedient hat. Wir hoffen dann natürlich, dass die Kellnerin oder der Kellner es behalten darf.
Doch wohin geht das Trinkgeld eigentlich? Es erscheint weder auf einer Abrechnung noch auf einem Beleg. Es werden weder Steuern noch Lohnbeiträge darauf bezahlt. Also wird aus dem Trinkgeld in den meisten Fällen eigentlich Schwarzgeld.
Bisher hat sich nie jemand daran gestört, denn die Arbeitnehmer hatten mehr Lohn, die Arbeitgeber weniger Aufwand. Die Behörden stellten ausserdem keine Fragen. Die Praxis funktioniert aber nur, solange ein Grossteil des Trinkgelds in bar bezahlt wird.
Heutzutage machen elektronische Zahlungen aber knapp drei Viertel aller Transaktionen aus. Auch das Trinkgeld wird immer häufiger digital überwiesen -- und hinterlässt deshalb Spuren in der Buchhaltung der Betriebe.
Vor allem in der Gastronomie, die von allen Branchen am meisten auf Trinkgeld angewiesen ist, wird das zum Problem. Gelder, die in den Büchern auftauchen, müssen schliesslich deklariert werden. Wie gehen Gastrobetriebe in der Schweiz mit der neuen Situation um?
FWG nimmt nur noch elektronische Zahlungen an
Die «NZZ» führt in einem Bericht unter anderem das Beispiel der «Familie Wiesner Gastronomie» (FWG) an. Dabei handelt es sich um einen der zwanzig grössten Gastronomiebetriebe der Schweiz. Zur FWG gehören demnach 31 Restaurants. 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten für die Familie Wiesner.
FWG wird von Manuel Wiesner und seinem Bruder geführt. Die beiden Gastronomen wussten bis vor wenigen Monaten nicht, wie viel Trinkgeld ihr Personal einnahm. Die Mitarbeiter rechneten selber ab ,das Trinkgeld teilten sie unter sich auf und nahmen es nach jeder Schicht in bar nach Hause. Manuel Wiesner erklärt: «Das ist der Standard in der Branche.»
Im letzten Jahr entschied sich die FWG jedoch, das Bargeld in ihren Betrieben abzuschaffen. Seither sind nur noch elektronische Zahlungen anzunehmen. Mit Folgen für das Trinkgeld: Die Angestellten können es nicht mehr selber aus der Kasse nehmen, sondern müssen warten, bis die FWG es ihnen gemeinsam mit dem Lohn überweist. «Da haben wir angefangen, uns Gedanken über die Abrechnung zu machen», sagt Wiesner.
Trinkgeld auf Lohnausweis – Unverständnis bei Personal
Die Trinkgelder werden nun laut dem Bericht seit diesem Jahr auf den Lohnausweisen der Mitarbeiter deklariert. Voraussetzung ist, dass sie mehr als 10 Prozent des Lohns betragen. Laut Wiesner ist das bei der FWG bei fast allen Angestellten der Fall, die im direkten Kundenkontakt stehen.
Der Gastronom betont, dass er das Personal vor einigen Monaten über das neue System informiert habe. Das Unverständnis sei demnach zunächst gross gewesen. «Viele hatten Angst, dass sie weniger verdienen würden.» Kurzfristig gesehen stimmt das auch, der Reallohn sinkt: Ein Mitarbeiter hat am Monatsende weniger Geld auf dem Konto als vorher.
Wiesner betont jedoch die Vorteile und sagt: «Der Gesamtlohn steigt, und dadurch steigen auch die Lohnbeiträge an die verschiedenen Kassen. Angestellte erhalten im Alter eine höhere Rente, sind besser versichert bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und Unfall und haben grundsätzlich eine höhere Kreditfähigkeit.»
«Der Arbeitgeber hat sich nicht einzumischen»
Die FWG deklariert also seit diesem Jahr die Trinkgelder ihrer Angestellten, das bringt andere Gastronomen in eine unbequeme Lage. Welche Gründe haben sie, es nicht zu tun? Michel Péclard sagt gegenüber der «NZZ»: «Wenn irgendwie möglich, möchten wir uns aus dem Thema heraushalten.»
Der Gastronom, der 16 Restaurants in der Region Zürich betreibt, betont: " Das Geben von Trinkgeld ist ein Vertrag zwischen Kellner und Gast. Der Arbeitgeber hat sich nicht einzumischen, das Trinkgeld ist schliesslich auch nicht umsatzrelevant.«
Péclards Geschäftspartner Florian Weber warnt ausserdem vor dem administrativen Aufwand. «Gerade kleinere Betriebe könnten das nicht stemmen und ihren Angestellten darum verbieten, Trinkgeld digital anzunehmen.» Das würde den Beruf noch unattraktiver machen, sagt Weber und betont: «Es würde schwieriger werden, Leute zu finden.»
Auch beim Verband Gastrosuisse hat man Vorbehalte. Präsident Casimir Platzer sagt: «Bei einer Integration der Trinkgelder in den Lohn gibt es nur Verlierer.» Er betont ausserdem, dass das Trinkgeld nicht zum Lohn gehöre, da es in der Regel nicht vom Arbeitgeber komme.
Spannend ist der Input von Thomas Geiser zum Thema. Der emeritierte Professor für Arbeitsrecht an der Universität St. Gallen sagt: «Bisher wollten die Steuerbehörden keine Abrechnungen sehen, da die Trinkgelder nicht in der Buchhaltung erschienen. Ich bin aber der Meinung, dass sich das mit dem bargeldlosen Zahlungsverkehr bald ändern wird.»