Zürcherin (19): «Auf Strassen lerne ich Typen kennen»

Autoposerinnen erobern sich die Stadt Zürich im Flug. Selina K.* ist auch oft mit dem Auto unterwegs. Nau.ch durfte auf ihrem Beifahrersitz Platz nehmen.

Polizei hat Autoposer-Treffen
Beamte im Einsatz. (Symbolbild) - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Nau.ch begleitet die Zürcherin Selina K.* und ihre beiden Freundinnen.
  • In Zürich versammelt sich die Autoposer-Szene jedes Wochenende.
  • Seit das Nachtleben ausbleibt, finden viele von ihnen Zuflucht hinter dem Steuer.

Als Selina K.* den Parkplatz am Seeufer verlässt, ist es 22.30 Uhr. Die Freundinnen Marina F.* und Alice B.* sitzen auf der Rückbank des farbigen 1er BMW. «Sind wir jetzt zu arrogant, um anzuhalten?», liest Marina eine Whatsapp-Nachricht vor. Sie stammt von Lorin M.*

Gerade eben haben wir auf dem Parkplatz seinen schwarzen BMW X4 passiert. K. wendet den Wagen an der nächsten Kreuzung. «Die Jungs sehen wir in etwa jeden Tag. Sie sind immer unterwegs», sagt sie. Zurück auf dem Parkplatz parkiert K. ihr Auto direkt vor dem Wagen Lorins.

Poser oder Autoliebhaber?

Im strömenden Regen steigen die drei jungen Frauen aus. Gleichzeitig öffnen sich drei Türen am anderen Auto. Der Reihe nach umarmen sich die Jugendlichen. Sie versammeln sich unter zwei Regenschirmen. Lorin M. ist gerade 18 Jahre alt geworden. Sein Wagen: ein Geburtstagsgeschenk von seinen Eltern.

«Ich bin kein Poser», erklärt M. bestimmt. Als was er sich bezeichnet? «Ein Autoliebhaber.» Was den Unterschied ausmacht, kann er nicht erklären. Poser sei halt irgendwie negativ behaftet. «Mein Auto ist original. Da wurde nichts gemacht.»

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Zürcherin aus Autoszene spricht über die Bezeichnungen Autoposer oder Tuner - Nau.ch/Drone-Air-Media.ch

Seine Augen funkeln, als er von seinem BMW spricht. «Der hat schon ordentlich PS unter der Haube. Zu viele für einen Neulenker», sagt er verlegen. Wie viele genau? «320 sind es.» Sein Fahrstil bezeichnet er als anständig. «Ausser auf der Autobahn, da drücke ich schon ab und zu.»

Die Gespräche nehmen ihren Lauf. Autos, Kollegen, Alkohol – der Gesprächsanteil der Männer überwiegt. Es ist nass und kalt. «Lasst uns zur BP-Tankstelle fahren. Dort können wir uns unters Vordach stellen», schlägt Lorin M. vor.

Blind Date an der Ampel

Die Karawane setzt sich in Bewegung. Bei BP ist es zu voll. Eine Sicherheitskraft patrouilliert um die Zapfsäulen herum. «Ruf Lorin an, wir treffen uns unter der Brücke im Tiefenbrunnen», weist K. ihre Kollegin an. Auf dem Weg dorthin nähert sich ein Wagen mit zwei Männern.

Selina K. schaut zum Fenster raus. Der Typ im Wagen nebenan strahlt sie an und winkt. K. erwidert die Begrüssung. Beim Stopp an der nächsten Ampel lassen beide das Fenster runter.

autoposer zürich
Eine Szene aus der Stadt Zürich: Die Polizei geht vermehrt gegen Autoposer vor. - Leservideo

«Hi», begrüsst der Beifahrer im schwarzen Wagen K. Auch Alice B. auf der Rückbank öffnet das Fenster. Es entsteht ein lockeres Gespräch, man verständigt sich darauf, einander zu folgen.

«Man lernt Typen kennen. Das Auto spielt dabei schon auch eine Rolle», erklärt sie. Einem BMW-Fahrer sei sie nie abgeneigt.

Man winkt sich, hält an, spricht und trifft sich auch mal ausserhalb des Wagens. K. zieht diese Begegnungen Dating-Apps wie Tinder vor.

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Selina K.* spricht über die Investitionen in ihr Auto. - Nau.ch / Drone-Air-Media-ch

Die beiden Unbekannten im schwarzen Wagen lernt sie an diesem Abend nicht mehr kennen. Ein Missverständnis und die Autos verlieren sich im Verkehr.

Alles was bleibt ist das Auto

Beim Parkplatz im Tiefenbrunnen treffen sich die Freunde wieder. Das Wetter drückt auf die Stimmung. K. und B. stehen eingewickelt in eine weisse Decke eng beieinander. Alle Anwesenden haben einen Migrationshintergrund. Ihre Eltern stammen aus Albanien, Serbien oder der Türkei.

«Schweizer sieht man hier nur selten. Sie treffen sich eher zu Home-Partys», erklärt Lorin M. Jugendliche, die sich also normalerweise in Clubs oder Bars treffen würden. Das Auto ist ihnen geblieben. «Gehen die Clubs wieder auf, trifft man mich nicht mehr so häufig auf der Strasse an», sagt K.

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Alice B.* und Selina K.* sprechen über die Autoszene nach Club-Öffnungen. - Nau.ch/Drone-Air-Media.ch

Es ist nach Mitternacht, der Regen hat sich gelegt. Alice B. schaut auf ihr Handy. Eine Nachricht – weitere Freunde warten auf einem anderen Parkplatz.

«Meist kehren wir erst gegen zwei oder drei Uhr morgens zurück nach Hause.» Bevor sie den Motor wieder anwirft, zieht sie ihren Lippenstift nach. Sie dreht den Schlüssel im Zündschloss und der BMW verschwindet schnurrend in den Gassen von Zürich.

*Die Namen sind zur Verfremdung der Personen abgeändert

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