Zwei französische Produzentinnen beurteilen die Schweizer Filmwelt
Barbara Letellier und Laurence Petit, die für die Pariser Produktions- und Vertriebsgesellschaft Haut et Court arbeiten, haben die Stärke des Schweizer Films hervorgehoben.
«Als ich jung war, hat mich ‹Dans la ville blanche› (1983) von Alain Tanner geprägt», sagte Letellier der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
«Einer der grössten Schriftsteller» ist Waadtländer
«Wir sind mit Jean-Luc Godard und Alain Tanner aufgewachsen», fügte Petit hinzu. Tanner sei wie Godard ein politischer Poet. «Sein ganzes Kino ist von einem avantgardistischen Gestus geprägt. Ich hoffe, dass er von den neuen Generationen entdeckt wird.»
Im literarischen Register nennt die Produzentin auch den Waadtländer Schriftsteller Charles-Ferdinand Ramuz (1878-1947), «für mich einer der grössten Schriftsteller der Welt». Sie hätte gerne «La vie de Samuel Belet», seinen letzten Roman aus dem Jahr 1913, verfilmt.
Die Schweiz sei immer als «ein pazifistisches Territorium wahrgenommen worden, aber mit Künstlern dieser Grössenordnung ist es in Wirklichkeit ein Territorium von Kriegern und sehr engagierten und visionären Filmemachern», sagte Petit weiter.
Schweizer Produktionen stets im Blick
«Dann gibt es eine ganze Generation von Schweizer Filmschaffenden, die wir seit langem verfolgen und die wir sehr schätzen», fährt Letellier fort. Sie nennt die «unglaubliche Filmemacherin» Ursula Meier, von der sie einen ihrer ersten Kurzfilme «Tous à table» beim Internationalen Kurzfilmfestival in der französischen Stadt Clermont-Ferrand entdeckt hatte, wo sie 2001 den Publikumspreis gewann.
Im Schweizer Film «gibt es einen Pool von Talenten, Autoren und Regisseuren», sagte Letellier weiter. «Wir haben auch mit einem anderen Schweizer Regisseur zusammengearbeitet, den wir sehr mögen, Jean-Stéphane Bron, dessen Film ‹Mon frère se marie› (2016) wir vertrieben haben», fuhr sie fort.
Derzeit haben die beiden Produzentinnen ein Serienprojekt mit dem Walliser Regisseur Frédéric Mermoud in Produktion. Die drei Regisseurinnen und Regisseure, die die Produzentinnen nannten, gehören wie Lionel Baier zur Produktionsfirma Bande à Part Films, die in Lausanne ansässig ist.
Sauvages – «schräger Film mit viel Fantasie»
Nicht zu vergessen der Walliser Regisseur Claude Barras, dessen Film «Sauvages» sie gerade koproduziert haben, eine ökologische Fabel vor dem Hintergrund des Regenwaldes von Borneo. Es handle sich um einen «engagierten Animationsfilm mit einer kleinen Alarmistin auf Kinderhöhe», so Letellier, «aber auch um einen schrägen Film mit viel Fantasie».
Aus offensichtlichen sprachlichen Gründen arbeitet die französische Produktions- und Vertriebsgesellschaft mit französischsprachigen Regisseuren und Firmen zusammen. Die Koproduktion von «Sauvages» kam dank Nicolas Burlet zustande, Produzent und Direktor der Genfer Firma Nadasdy Film.
Zwar haben sich mit Belgien und Frankreich zwei weitere Länder an der Finanzierung des Films beteiligt, doch die Schweiz stellt die Mehrheit. Die Umsetzung stützte sich auf das Know-how im Bereich der Puppengestaltung und der Stop-Motion-Technik in den drei Ländern. Auch bei der Besetzung der Stimmen sind die drei Nationalitäten vertreten, zum Beispiel mit der französisch-schweizerischen Schauspielerin Laetitia Dosch.
Animationsfilm ruft gegen Entwaldung auf
Neben seiner Auswahl in Cannes und der ersten Vorführung am Samstagnachmittag wird «Sauvages» auch im Wettbewerb des Animationsfilmfestivals im französischen Annecy laufen, das vom 9. bis zum 15. Juni des laufenden Jahres stattfindet. Eine Kampagne mit einem Aufruf zum Handeln begleitet den Film. Sie zielt auf die Unterstützung von Projekten gegen die Entwaldung ab und wurde am Sonntag nach der Pressekonferenz in Cannes gestartet. Zu den Partnern gehören Greenpeace, Foodwatch und der Bruno-Manser-Fonds für den Tropenwald.