«Bleibt Kalb länger bei Mutter, fördert dies unsere Gesundheit»
Die muttergebundene Kälberaufzucht fördert nicht nur das Tierwohl, sondern auch unsere Gesundheit, schreibt Meret Schneider in der neuesten Nau.ch-Kolumne.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Anstieg der Antibiotikabehandlungen bei Milchkühen bietet Anlass zur Besorgnis.
- Der Schlüssel zu einer geringeren Antibiotikagabe ist eine stabile Gesundheit der Tiere.
- Eine Lösung ist die muttergebundene Kälberaufzucht, findet Meret Schneider.
Wir kennen Antibiotika als unverzichtbare Medikamente gegen Infektionskrankheiten. Also Krankheiten, die durch Bakterien verursacht werden.
Gäbe es Antibiotika nicht, würden viele Krankheiten wie beispielsweise eine Sepsis (Blutvergiftung) bei Menschen tödlich verlaufen. Ein guter Grund, dankbar für die Entwicklung dieser Medikamente zu sein – und sie sparsam einzusetzen.
Werden Antibiotika nämlich öfter und längerfristig eingenommen, können die entsprechenden Bakterien Resistenzen entwickeln. Die Medikamente erweisen sich in der Folge als wirkungslos. Ein gefährlicher Zustand bei einer Infektion, weshalb sie von Hausärztinnen und Hausärzten nur kurzfristig und exakt richtig dosiert verschrieben werden.
Hohe Antibiotika-Abgaben in Tierställen
Eine weitere Ursache der Resistenzen, die wir als Privatpersonen jedoch kaum beeinflussen können, ist die Nutztierhaltung.
Die teilweise hohen Antibiotikagaben in den Tierställen führen zu antibiotika-resistenten MRSA- und ESBL-Keimen. Diese können dann wiederum durch den Verzehr von Lebensmitteln wie Fleisch oder Milch in den menschlichen Organismus gelangen.
Der Bund und auch die Bäuerinnen und Bauern sind sich dessen wohl bewusst, weswegen in der Landwirtschaft bereits stark auf eine Reduktion des Antibiotika-Einsatzes hingearbeitet wird. Der Bund hat mit der StAR (Strategie Antibiotikaresistenzen Schweiz) entsprechende Massnahmen ergriffen und konkretisiert.
Gesundheit der Tiere als Schlüssel
In vielen Bereichen zeigen diese Massnahmen auch Wirkung: Zentral sind dabei die Information über den sachgemässen Einsatz von Antibiotika. Aber auch die Etablierung von Rahmenbedingungen, die es den Bauern und Veterinärmedizinerinnen ermöglichen, den Antibiotika-Einsatz so gering wie möglich zu halten.
Erkrankt ein Tier an einer Infektion, ist aus Tierwohl-Sicht der Einsatz von Antibiotika nämlich unumgänglich. Alles andere würde zu viel Tierleid und letztlich zum Tod des Tieres führen. Der Schlüssel zu einer geringeren Antibiotikagabe ist also eine möglichst gute und stabile Gesundheit der Tiere.
Sorgen nach Datenerfassung
Eine ebenfalls zentrale Säule der Strategie ist die Datenerfassung und Berichterstattung, um die Entwicklung zu monitoren, evaluieren und gegebenenfalls Massnahmen ergreifen zu können. Diese Datenerfassung (erschienen im Oktober 2024 und wenig von Öffentlichkeit und Politik zur Kenntnis genommen) bereitet Anlass zur Sorge.
Sie fördert nämlich zu Tage, dass trotz aller Bemühungen, Aufklärung und dem Einsatz der Bäuerinnen und Bauern bei Rindern noch immer die grösste absolute Wirkstoffmenge sowie die grösste Wirkstoffmenge kritischer Antibiotika verzeichnet wurde.
Kein abnehmender Trend bei Rinderkategorien
Auch die insgesamt grösste Anzahl Tierbehandlungen (pro 1000 Tiere) erfolgte bei Milchkühen. Gefolgt von Rinderaufzucht und Rindermast. Diese Zahl ist in den meisten Rinderkategorien im Vergleich zum Vorjahr leicht angestiegen, bei Milchkühen sogar deutlich.
Die höchsten Zahlen von Tierbehandlungen mit kritischen Antibiotika waren bei der Rinderaufzucht und -mast sowie bei den Milchkühen zu verzeichnen. Insgesamt zeigt sich bei den Rinderkategorien kein abnehmender Trend im Antibiotika-Verbrauch, während in den anderen Tierkategorien ein Rückgang zu beobachten ist, der positiv stimmt.
Milchkühe: Deutlicher Anstieg der Antibiotika-Behandlungen
Der deutliche Anstieg der Antibiotika-Behandlungen bei Milchkühen bietet also Anlass zur Besorgnis. Und müsste eigentlich Grund genug sein für den Bund, hier griffige Massnahmen zu ergreifen, die im Sinne des Tierwohls umgesetzt werden können.
Wie der Bund in seiner eigenen Strategie schreibt, ist die wirksamste Gegenmassnahme gegen erhöhten Antibiotika-Einsatz die Prävention. Also die Schaffung von Rahmenbedingungen für eine möglichst optimale Tiergesundheit, die eine Antibiotikagabe unnötig macht.
Stress für die Kälber
Ein Ansatz, der einen signifikanten Effekt auf die Gesundheit der Kälber (dort ist die Abgabe von Antibiotika besonders hoch) hat und im gleichen Zuge das Tierwohl wesentlich verbessert, stellt die muttergebundene Kälberaufzucht dar.
Dies nur schon deshalb, weil alle Kälber während drei bis zehn Monaten bei der Mutter und dadurch auf dem Geburtsbetrieb verbleiben und nicht im jungen, sensiblen Alter vom Muttertier getrennt und auf einen Mastbetrieb transportiert werden. Das bedeutet Stress für die Kälber. Es schwächt das Immunsystem, welches sich in den ersten zwölf Lebenswochen noch im Aufbau befindet.
Zusatzaufwand und Umsatzeinbussen
Ein solcher Ansatz für eine bessere Kälber-Gesundheit und ein besseres Tierwohl ist für den einzelnen Milchviehbetrieb jedoch mit Zusatzaufwand und Umsatzeinbussen verbunden: Er kann weniger Milch verkaufen (im Schnitt rund 30 Prozent), da alle Kälber Milch beim Muttertier trinken. Zudem ist mehr Platz, Einstreu und Reinigungsarbeit für die Kälber nötig, da sie nicht auf einen Mastbetrieb ausgelagert werden. Daher kann sich ein solch neuer Ansatz nicht ohne Förderung und ohne einen besseren Milchpreis etablieren.
Keine staatliche Unterstützung
In Gegensatz zu diesen Fakten argumentiert der Bund auf eine Anfrage zur Etablierung der muttergebundenen Kälberaufzucht: Der Bundesrat plant weder eine Definition eines Produktionssystems «muttergebundene Kälberaufzucht» noch dessen finanzielle Unterstützung.
Er ist der Ansicht, dass Milchprodukte aus dieser Produktionsform ohne zusätzliche staatliche Unterstützung ihre Abnehmer finden können.
Dem widerspricht die Tatsache, dass zurzeit diverse Bäuerinnen und Bauern gern auf muttergebundene Kälberaufzucht umstellen würden. Sie können es sich aber finanziell nicht leisten. Weil sie einerseits gegen 30 Prozent Mengeneinbussen zu verzeichnen haben, und andererseits nicht wie bei beispielsweise der Weidehaltung durch Tierwohlprogramme wie RAUS oder BTS unterstützt werden.
In Anbetracht dessen, dass es aber im ureigenen Interesse des Bundes sein muss, Antibiotikaresistenzen zu vermeiden, stellt sich die Frage, warum hier die Bereitschaft fehlt, günstige Rahmenbedingungen zu schaffen.
Solche, die es ermöglichen, muttergebundene Kälberaufzucht zu etablieren und dabei kostendeckend zu wirtschaften.
Da eine Förderung dieser Tierhaltungsform aber auch im Interesse der Bäuerinnen und Bauern sein müsste, werde ich mich im Vorfeld der Frühlingssession mit den entsprechenden Branchenverbänden austauschen.
Ich hoffe sehr, hier etwas Mehrheitsfähiges aufgleisen zu können. Die muttergebundene Kälberaufzucht kommt nicht nur dem Tier, sondern vor allem auch der Gesundheit von uns Menschen zugute. Das lässt sich aus der Strategie des Bundes selber erkennen.
Zur Person: Meret Schneider (31) ist Mitglied des Schweizer Nationalrats. Sie arbeitet als Projektleiterin beim Kampagnenforum. Weiter ist sie Vorstandsmitglied der Grünen Partei Uster ZH.