Braucht es ein gesetzliches Fleischverbot?
Wir können frei wählen, wie wir leben und was wir essen. Doch manchmal stösst diese Freiheit an Grenzen. Was also tun, fragt Nau.ch-Kolumnistin Mirjam Walser.
Das Wichtigste in Kürze
- Wenn andere zu Schaden können, müssen wir unsere Freiheit manchmal einschränken.
- Das akzeptieren wir in vielen Bereichen, von Autofahren bis Hundeerziehung.
- Nur in einem Bereich scheinen wir dieses Prinzip zu ignorieren. Mit dramatischen Folgen.
In grüner Jeans und pinkem Pulli zur Arbeit, mit dem Auto in die Ferien nach Schweden und Karriere in Teilzeit: In der Schweiz haben wir das Glück, über viele Bereiche unseres Lebens frei zu bestimmen. Wie wir uns kleiden, wo wir wohnen, wie wir uns fortbewegen oder welchen Beruf wir ausüben wollen – wir haben Wahlfreiheit.
Doch diese Freiheit stösst immer wieder an Grenzen – nämlich dort, wo das Wohl anderer auf dem Spiel steht. Deshalb müssen wir Einschränkungen akzeptieren, auch wenn sie in unsere Privatsphäre eingreifen.
Zum Beispiel beim Autofahren: Nach einem feuchtfröhlichen Abend haben wir keine Wahlfreiheit mehr, ob wir mit dem Auto oder dem Zug nach Hause fahren. Ab 0,5 Promille bleibt das Auto stehen.
Das Gesetz ist klar: Niemand soll durch die Entscheidung eines Einzelnen, betrunken zu fahren, in Gefahr gebracht werden.
Wir achten auf andere
In vielen Situationen stellen wir das Wohl anderer über die eigene Wahlfreiheit. Hundehalter sammeln zum Beispiel Hundehäufchen auf, selbst wenn niemand hinschaut. Denn sie wissen, wie ärgerlich es für andere wäre, auf ein Häufchen zu treten.
Unsere Freiheit endet dort, wo andere zu Schaden kommen. Deshalb greifen wir sogar in die Privatsphäre ein, wenn wir sehen, dass jemandem geschadet wird. Beobachten wir, dass ein Kind oder ein Haustier misshandelt wird, melden wir es der Polizei.
Dass wir manchmal unsere Freiheit zugunsten anderer einschränken müssen, haben wir weitgehend akzeptiert. Es verbessert das gesellschaftliche Zusammenleben insgesamt.
Nur in einem Bereich des Alltags scheinen wir dieses Prinzip gerne auszublenden, obwohl die negativen Auswirkungen hier enorm sind.
Zwang und Bevormundung!
«Niemand bestimmt, was auf meinem Teller landet», «Essen ist Privatsache!» Wenn es um die Ernährung geht, kochen die Emotionen schnell hoch.
Besonders wenn es um Fleisch und andere tierische Produkte geht, fühlen sich viele sofort in ihrer Freiheit bedroht. Dass aber beim Konsum von Fleisch ohne Ausnahme jemand anderes zu Schaden kommt, spielt plötzlich keine Rolle mehr.
Für jedes Stück Fleisch auf dem Teller muss zwingend ein Tier sterben. Damit wir Käse, Milch oder Eier in unbeschränkten Mengen essen können, fristen die meisten Tiere ein zu kurzes Leben in beengten Ställen. Egal. «Niemand verbietet mir mein Cordon Bleu!»
Auch egal: Dass wir uns mit dem übermässigen Konsum tierischer Produkte selbst schaden. Denn die Auswirkungen auf das Klima, die Umwelt und die Biodiversität haben schlussendlich einen negativen Einfluss auf die Lebensqualität von uns allen.
Selbst bei unverbindlichen Empfehlungen, weniger Fleisch zu essen, fühlen sich manche bevormundet. So auch im Oktober, als die Schweizer Gesellschaft für Ernährung ihre neue Ernährungspyramide vorstellte: Der Rat lautete, den Fleischkonsum auf zwei- bis dreimal pro Woche zu beschränken.
Der Aufschrei folgte prompt: «Staatlicher Zwang! Bevormundung!» Bald, so die Befürchtung, werden uns «die da oben» das Fleischessen verbieten.
Wobei die Empörung über «Verbote von oben» scheinbar zum guten Ton gehört: Das Rauchverbot 2010 zum Beispiel sorgte ebenfalls für Wut und Missmut. Doch letztlich wurde das Gesetz zum Schutz vor Passivrauchen akzeptiert – und niemand ist daran gestorben. Im Gegenteil, vielen hat es wohl ein paar zusätzliche Lebensjährchen beschert.
Aber sollte der Staat nun, wie beim Rauchverbot, auch den Fleischkonsum verbieten – zum Schutz Dritter, also der Tiere? Keine Sorge, davon sind wir weit entfernt. Und was am Ende zu Hause im Kochtopf landet, bleibt ohnehin Privatsache.
Es liegt in unserer Hand
Aber es bedeutet auch: Umso grösser ist die Verantwortung, die wir im Privaten tragen: Wir können uns jeden Tag für Lebensmittel entscheiden, für die kein Lebewesen sterben musste.
Kichererbsen-Curry, Bolognese mit Sojagehacktem, Gemüseeintopf mit Polenta: Pflanzliche Ernährung ist in den letzten Jahren viel einfacher geworden. Natürlich braucht es etwas Zeit, Essgewohnheiten zu verändern. Und ja, es ist manchmal anstrengend.
Doch wenn man beginnt, das Tier hinter dem Produkt Fleisch zu sehen, ändert sich etwas. Man erkennt, dass fünf Sekunden Gaumengenuss den Schaden, den das Tier erleiden muss, nicht wert sind.
Dann fühlt es sich nicht mehr wie ein Verzicht an, sondern wie ein Gewinn: das gute Gefühl, mit der Essenswahl ein Leben gerettet zu haben.
Und plötzlich klingt auch ein Fleischverbot gar nicht mehr so abwegig …
Zur Person: Mirjam Walser (38) schreibt auf Nau.ch regelmässig zum Thema Veganismus und Tierrechte. Als Coach und Gründerin der Vegan Business School ist sie Expertin für veganes Unternehmertum und vegane Innovationen.